Charakteristisch für jedes Lebewesen ist die Fähigkeit Reize zu empfinden und seine Tätigkeit entsprechend diesen Empfindungen so zu gestalten wie es zum Zweck der Selbsterhaltung und des Wohlbefindens nötig ist. Weitaus überragt alle lebenden Geschöpfe der Mensch durch sein Selbstbewußtsein und die Fähigkeit, Naturvorgänge zu begreifen, d. h. sie durch sein eigenes Ich, seine eigene Kraft hervorgebracht zu denken, ja sogar das Kommende mit mehr oder minder großer Sicherheit voraus zu berechnen.
Die älteste Zeit, von welcher wir Kunde haben, vermutete als treibende Ursachen überall in der Natur unsichtbare, ähnlich uns selbst willkürlich schaltende Dämonen. Um Schädliches abzuhalten, blieb also nur übrig, sich diese durch Opfer und Bitten günstig zu stimmen.
Doch daß nicht alles in der Natur willkürlich ist, daß z. B. die Gestirne in ihrem Lauf festen Regeln folgen, konnte nicht verborgen bleiben und durch das Bestreben, alle solche Gesetzmäßigkeiten nach Maß und Zahl festzustellen, entstand die Physik im weiteren Sinne, die Naturwissenschaft; anfänglich in innigster Verbindung mit dem Kultus der Naturgottheiten, im alten Babylonien als Magie bezeichnet, so wie dieser Kultus selbst.
Die bereits von Dungi I 2650 v. Chr. eingeführte Längeneinheit, die babylonische Doppelelle, war fast gleich unserem heutigen Meter (0,993 m), ebenso die Zeiteinheit unserer heutigen Sekunde und die Gewichtseinheit, die schwere babylonische Mine, gleich dem Kilogramm (0,9924 kg).
Mit solchen Einheiten scheint es möglich, die Naturvorgänge völlig exakt zu beschreiben und auf die gewonnenen Zahlen
Otto Lehmann: Das Relativitätsprinzip der neue Fundamentalsatz der Physik. Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Karlsruhe, Bd. 23 (1909-1910), Karlsruhe 1911, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Relativit%C3%A4tsprinzip_(Lehmann).djvu/2&oldid=- (Version vom 10.8.2024)