Seite:Das Tagebuch des Steuermanns.pdf/9

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nach der kleinen Insel übersetzen, die mitten in einer seeartigen Ausbuchtung des Hafens lag und die Werner Seiffert von der Stadt als der Eigentümerin seit Jahren gepachtet hatte. Das kleine Eiland, allgemein Eicheninsel genannt, da dieser echt deutsche Baum einen dichten Ring um das Innere des Inselchens bildete, war am Ufer durch einen sehr hohen und sehr engen Stacheldrahtzaun gegen jedermann abgesperrt. Nur eine einzige Anlegestelle gabs, die aber gleichfalls in ähnlicher Weise gegen unberufene Besucher geschützt war. Hier hauste also Werner Seiffert, seines Zeichens Chemiker, seit etwa zehn Jahren in völliger Einsamkeit und Abgeschlossenheit. Ein Blockhaus und einige Nebengebäude erhoben sich an einer schmalen Wasserzunge, die sich fast bis zum Mittelpunkt des Eilandes hineinerstreckte. Das bescheidene, aber geräumige Heim des Einsiedlers der Eicheninsel war in Zeit, als man sich in der Stadt noch lebhaft mit dem von Berlin aus zugezogenen Chemiker beschäftigt und über den Grund dieser seiner selbstgewollten Weltabgeschiedenheit die abenteuerlichsten Vermutungen ausgestellt hatte, der Gegenstand neugierigen Interesses der halben Einwohnerschaft gewesen. Mit der Zeit gewöhnte man sich aber daran, in dem Chemiker lediglich einen harmlosen Sonderling zu sehen, der auf der Insel ungestört seine Studien betreiben und nebenbei sich als Landwirt in bescheidenstem Maße betätigen wollte. Werner Seiffert hatte zudem die braven Heilmünder dadurch für sich einzunehmen gewußt, daß er der Stadt eine beträchtliche Summe für wohltätige Zwecke stiftete. Gelegentlich trat er auch bei diesem oder jenem Anlaß als Helfer aller Bedrängten in die Öffentlichkeit, so daß er sich in der Bevölkerung allgemeiner Achtung erfreute, obwohl ihn sonst niemand genauer kannte. Er lebte eben ganz still für sich auf seinem kleinen Eiland, besorgte sämtliche Hausarbeiten selbst und ließ nur an jedem Sonnabend durch eine einfache, ehrliche Frau seine Zimmer gründlich säubern.

Des Chemikers Bekanntschaft mit Heinrich Wend

Empfohlene Zitierweise:
W. Belka: Das Tagebuch des Steuermanns. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1919, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tagebuch_des_Steuermanns.pdf/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)