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des Joseph und der darauffolgenden Heimholung der Maria, die Erzählung vom bethlehemitischen Kindermord und der Flucht nach Ägypten. Die Kindheitsgeschichten des Täufers entfallen ganz. Es bleibt nur ein Stück aus dem Lobgesang des Zacharias. Aber mit diesem Stück ist eine sehr merkwürdige Verwandlung vorgegangen, die für die Haltung der Herausgeber des Volkstestaments überaus bezeichnend ist. Während im Neuen Testament dem Täufer Johannes die Verheißung gilt: „Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Du wirst vor dem Herrn hergehen, daß du seinen Weg bereitest“, läßt das Volkstestament „einen anderen Seher“[1] im Zusammenhang mit der Simeongeschichte diese Verheißung auf Jesus gemünzt sein. Von dem Jesuskind wird gesagt: „Du, Kind, bist zum Sendling des Höchsten ersehen, du gehst vor ihm her und bahnst ihm den Weg.“[2] Selbst ein flüchtiger Leser wird merken, wie folgenschwer diese Veränderung ist. Hier wird völlig offenbar, daß Jesus für die Deutschen Christen nicht der Herr ist, sondern nur ein „Sendling des Höchsten“. Er ist nicht Gott im Fleisch des Menschen, er ist Mensch wie wir alle, und alle großen Worte über ihn können nichts daran ändern, daß er seinem Wesen nach nicht auf die Seite Gottes, sondern auf die Seite des Menschen gehört.

Was wollen unter solchen Umständen dann überhaupt noch die Geburtsgeschichten im Volkstestament? Nun, Grundmann weiß, daß sie eigentlich nicht mehr darin stehen dürften. Sie stehen „noch“ da, weil die Beseitigung dieser Geschichten einfach nicht gewagt wird. Grundmann rechtfertigt die an sich nicht zu rechtfertigende Beibehaltung mit dem Satze: „Diese Perikopen, die in besonderer Weise ein Stück deutschen Volksglaubens und deutscher Kunst geworden und die in ihrem Charakter original christlich sind, können in einem Volkstestament nicht fehlen“[3][4] Natürlich schneidet auch hier die Schere allerlei weg. Bethlehem soll verstanden werden als das sonst sehr wenig erwähnte galiläische Bethlehem.[5] Das jüdische Land und die Stadt Davids dürfen nicht in Erscheinung treten, und in der Verkündigung des Engels darf es nicht mehr heißen „Christus der Herr in der Stadt Davids“, sondern nur in Anlehnung an die frühmittelalterliche Schreibweise: „Krist der Herr“[6]. In der Geschichte von den Weisen aus dem Morgenlande fehlt das Zwischenspiel mit dem König Herodes, was damit begründet


  1. „Sein Ursprung“, Z. 71
  2. „Sein Ursprung“, Z. 72f
  3. Quellenangabe bisher nicht möglich, da der Bearbeitung Volltexte von bsplw. Grundmann: Unsere Arbeit am Neuen Testament (1939) nicht vorliegen
  4. Entsprechender Gedanke auch auf S. XII
  5. „Sein Ursprung“, Z. 7f
  6. „Sein Ursprung“, Z. 23
Empfohlene Zitierweise:
Karl Fischer: Das Volkstestament der Deutschen Christen. Bekennende Evangelisch-luth. Kirche Sachsens, Dresden 1940, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Volkstestament_der_Deutschen_Christen.pdf/7&oldid=- (Version vom 20.11.2023)