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ließ, daß er niemals, niemals vergessen würde.

Frau Käti war inzwischen in die Dünen einbogen, wo im Schatten eines größeren, zur Reparatur an Land geschleppten Kutters neben einem jungen, weiß gekleideten Mädchen ein etwa sechs Jahre alter Knabe im Sande spielte. Der Kleine, eine wahre Ausgeburt von Häßlichkeit, mit einem übergroßen Kopf und krankhaft verzerrten Zügen, streckte beim Anblick der Mutter die dünnen Ärmchen aus und rief mit seiner schrillen, quäkenden Stimme:

„Ricki, Kuchen – Kuchen – Kuchen –“

Unaufhörlich wiederholte er das letzte Wort und zeigte dabei mit einem freudigen Lächeln, das sein mißgestaltetes Antlitz noch mehr verzerrte, auf verschiedene Sandtürmchen, die er mit Hilfe von Holzformen hergestellt hatte.

Bei dieser Begrüßung, die der bedauernswerten Frau so recht wieder die ganze Größe ihres Unglückes vor Augen führte, vermochte Käti Deprouval die heißen Tränen gerade in ihrer jetzigen Stimmung nicht mehr zurückzuhalten.

Wildes Schluchzen ließ ihren zarten Körper wie im Krampf erbeben. Achtlos setzte sie sich nieder, vergrub das tränenfeuchte Gesicht in beide Hände und gab sich ihrem Schmerze zügellos hin.

Das junge Mädchen, die Erzieherin des kleinen Richard, redete ihr tröstend zu. Alles vergeblich. – Schließlich nahm sie mit sanfter Gewalt die Fassungslose in ihre Arme und streichelte ihr beruhigend über das blonde, nur von einem dünnen Schleier verdeckte Haar. Das half. – Langsam versiegten die Tränen, die Hände gaben das feine Gesichtchen frei.

„Aber liebe, liebe Frau Deprouval, woher nur wieder dieser Anfall wilder Verzweiflung?“ sagte Rita Meinas leise und nahm Kätis Hände tröstend in die ihren.

Empfohlene Zitierweise:
W. von Neuhof: Das graue Gespenst. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_graue_Gespenst.pdf/24&oldid=- (Version vom 31.7.2018)