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werden sie, nicht mehr an Leib und Seele erschöpft, anfangen, die Tugenden der Faulheit zu üben.

Was die Arbeiter nicht einsehen wollen, haben sogar Industrielle im Interesse der kapitalistischen Ausbeutung selbst verlangt: eine gesetzliche Einschränkung der Arbeitszeit. Im Jahre 1860 erklärte der Fabrikant Bourcart von Gebweiller vor der gewerblichen Unterrichtskommission, daß „die Arbeit von 12 Stunden übermäßig ist und auf 11 Stunden reduzirt werden, daß Sonnabends die Arbeit um 2 Uhr aufhören sollte. Ich empfehle diese Maßregel, obwohl sie auf den ersten Blick drückend erscheint; wir haben sie in unseren Etablissements seit 4 Jahren versucht und stehen uns gut dabei; die Durchschnittsproduktion ist, anstatt zu fallen, gestiegen.“ – In seiner Abhandlung „die Maschinen“ zitirt Herr F. Passy folgenden Brief eines belgischen Industriellen, eines Herrn Ottevaere:

„Obwohl unsere Maschinen dieselben sind wie die der englischen Spinnereien, produziren sie doch nicht so viel als sie sollten, und als dieselben Maschinen in England produziren, trotzdem dort täglich zwei Stunden weniger gearbeitet wird. … Wir arbeiten zwei volle Stunden zu viel; ich bin überzeugt, daß wenn wir statt 13 Stunden nur 13 arbeiteten, wir ebensoviel und infolgedessen ökonomischer produziren.“

Anderseits konstatirt der liberale Oekonom, Herr P. Leroy-Beaulieu, daß „ein großer belgischer Manufakturist die Beobachtung gemacht hat, daß die Wochen, in welche ein Feiertag fällt, keine geringere Produktion aufweisen als die gewöhnlichen Wochen.“ („Die Arbeiterfrage im 19. Jahrhundert.“ Paris 1872.)

Was das durch die Moralisten versimpelte Volk nicht gewagt hat, hat eine aristokratische Regierung gewagt. Unbekümmert um die hochmoralischen und wirtschaftlichen Einwände der Oekonomen, die gleich Unglücksraben krächzten, daß die Fabrikarbeit um eine Stunde herabsetzen, den Ruin der englischen Industrie dekretiren hieße, hat die englische Regierung die zehnstündige Arbeitszeit gesetzlich eingeführt, und nach wie vor ist England das erste Industrieland der Welt.

Die große Erfahrung Englands liegt vor, die Erfahrungen intelligenter Kapitalisten liegen vor: sie beweisen unwiderleglich, daß, um die menschliche Produktion zu steigern, man die Arbeitszeit herabsetzen und die Zahl der Ruhetage vermehren muß, und das französische Volk sieht es immer noch nicht ein. (Das deutsche leider auch nicht!) Können die Arbeiter denn nicht begreifen, daß dadurch, daß sie sich mit Arbeit überbürden, sie ihre und ihrer Nachkommenschaft Kräfte erschöpfen, daß sie, abgenutzt, vorzeitig arbeitsunfähig werden, daß sie alle schönen Anlagen in sich ertödten, nur um der rasenden Arbeitssucht willen?

Ach, gleich Papageien plappern sie die Lektionen der Oekonomen nach: – „Arbeiten wir, arbeiten wir, um den Nationalreichthum zu vermehren!“ O ihr Idioten! Weil ihr zuviel arbeitet, entwickelt sich die industrielle Technik zu langsam. Laßt euer Geschrei und hört einen Oekonomen – es ist kein großes Licht, es ist nur Herr L. Reybaud: „Im Allgemeinen richtet sich die Revolution in den Arbeitsmethoden nach den Bedingungen der Handarbeit. Solange die Handarbeit billig ist, wendet man sie im Uebermaß an, wird sie theurer, so sucht man sie zu sparen.“[1] Um die Kapialisten

  1. Louis Reybaud, Die Baumwolle, ihr Reich und ihre Fragen. 1863.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit. Schweizerische Genossenschaftsbuchdruckerei, Hottingen-Zürich 1884, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_recht_auf_faulheit-lafargue-1884.pdf/23&oldid=- (Version vom 11.6.2017)