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1. Kapitel.[1]

Die Nacht damals war kalt, regnerisch und finster. Eine bessere Nacht konnte ich mir kaum wünschen.

Wenn die Regenschauer und Windstöße über das Schieferdach hinwegfuhren, drang mir die Kälte durch die durchnäßten, muffig stinkenden Leinenhosen und die aus der grauen Wolldecke in heimlicher Arbeit zurechtgeschneiderte Jacke bis auf die Knochen.

Seltsam: meine Gebeine fühlte ich, als ob’s eisige, eiserne Stangen wären. Aber meine Haut und mein Gesicht brannten wie damals, als ich mitgeholfen hatte, der Jungfrau durch den felsigen Leib finstere Schlünde zu bohren: Höhensonne – Gletscherbrand!

Vom Dache liefen zwei dicke Drähte mit leichtem Gefälle über den Hof und die hohe Mauer hinweg bis zu einem nahen Hügel.

Zwei … der eine isoliert, der andere durch die Witterungseinflüsse oxydiertes Kupfer. Drähte, die den Tod leiteten, aber auch Licht, Kraft, Wärme spendeten.

Die Drähte lagen etwa fünfzig Zentimeter auseinander und schwankten im Winde. Ich bin nie ein Seiltänzer gewesen. Man wird alles, wenn Not am Mann ist. Und ich hatte dieses Leben

  1. Vorlage: 1. Kapitel ergänzt
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Max Schraut: Das tote Hirn. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1930, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_tote_Hirn.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)