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Winter gieng Hans Sef in Begleitung seines Hündchens eines schönen Tages mit einem Schlitten von Hause weg, um jene zu holen. Wie er in die Nähe der Alpe kam, da fieng sein Hündchen plözlich zu bellen und zu winseln an und lief ängstlich den nahen Hügel hinan. Hans Sef rief mermals dem Hündchen zu, es möchte herunterkommen, doch umsonst. Dises blib auf der Anhöhe droben und bellte fort. Da gieng sein Herr des Weges weiter, und als er vor der Sennhütte angelangt war, trat er bei der unverschloßenen Türe in dieselbe ein und öffnete mit dem mitgenommenen Schlüßel den Milchkeller. Als er hier hineingieng, da saß zu seiner grösten Verwunderung ein im unbekanntes altes Weiblein mit einer sog. „Nudelkappe“ auf dem Haupte auf dem Milchtôblat[1] und blickte in stir an. Weil Hans Sef seiner Lebetage sich nicht im mindesten je gefürchtet hatte, so machte er sich aus diser Erscheinung nicht sonderlich vil; doch scheint es, felte im der Mut, dises geisternde Weiblein anzureden. Er hob die Laden einen nach dem andern auf die Achsel, trug sie vor die Sennhütte und lud sie auf seinen Schlitten. Zulezt schloß er noch den Milchkeller und fur mit seiner Bürde von dannen. Wie er außer dem Bereiche der Alpe war, da lief das Hündchen, freudig bellend und mit dem Schweife wedelnd, im wider entgegen und teilte seine Begleitung. Zu Hause angekommen, erzälte Hans Sef, was im heute in der Valcifenzer Sennhütte begegnet sei. Da meinten seine Angehörigen, daß er, falls er vollends den Mut beseßen hätte, dises gespenstische Weiblein anzusprechen und zu fragen, wes es zur Befreiung von seinem Leiden in der dortigen Sennhütte allenfalls benötigte, warscheinlich in der glücklichen Lage gewesen wäre, dasselbe zu erlösen.


3 DAS VALCIFENZER WEIBLEIN AUF BESUCH

Etwa 20 Minuten (1½ km) von der Alpe Valcifenz entlegen, in nächster Nähe des Maiensäßes Vergalda, stet ein einsames Haus. Dises besuchte bei kalter Witterung im Spätherbste, nachdem Leute und Vih schon längst von Valcifenz abgefaren waren, öfters ein Weiblein, sezte sich in der Küche zum Herdfeuer oder in der Wonstube auf die Ofenbank und rief, sich die Hände reibend: „Tschu! tschu! hüt isch kalt!“ Nach einer Weile, wann es sich gewärmt hatte, sagte es: „Jez muaß i’ go di vertêlta schwî trenka“ und eilte hastig von dannen. Kaum hatte dises „buzende“ Weiblein hinter sich die Türe zugeschlagen, so sahen die Hausbewoner vom Fenster aus dasselbe schon über den zimlich entfernten „Stôfl“[2] laufen


  1. Über das rom. Wort tôblat vgl. Alem. XVIII 2, S. 136.
  2. Über das mutmaßlich rom. Wort vgl. Alem. a. a. O.
Empfohlene Zitierweise:
Anton Birlinger, Fridrich Pfaff (Hrsg.): Alemannia XIX. Hanstein, Bonn 1892, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Alemannia_XIX_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)