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ward in der Dunkelheit mit fortgewehet, es wußte nicht wohin, bis es sich endlich zwischen den Alpen in der hellesten und heitersten Luft wiegte und tief unten im Thale einen wunderschönen Garten liegen sah. Da flog es hinab und wollte sehen, was der Garten bedeute hier mitten in der Einöde. Schneevöglein ließ sich darum unter den andern Vögeln nieder und zwitscherte und sang mit ihnen aus seinen besten Künsten, sah das krystallene Haus, sah das hübsche und weisse Lilienmädchen in seinem reitzenden Liliengange wandeln, wo die Lilien so hoch standen, als anderswo die Linden und Birken stehen, und begriff auf der Stelle, daß hier etwas von Zauberei walten müsse. Zufällig war auch die alte Hexe eben da, welche einmal nachgesehen und sich gefreut hatte, daß Gunhilde so geschwinde wuchs. Sie kroch aber als eine garstige Kröte in einem Winkel des Gartens. Das bunte Vögelchen wußte noch nicht recht, wohin die Zauberei wolle; als es aber die Kröte mit dem wunderlich lauschenden Kopfe und den hellen listigen Augen gesehen hatte, deutete es sich alles. Die Hexe merkte von dem Vögelchen auch nicht das Allergeringste, denn wenn die Hexen alles wüßten, würde nie eine Seele erlöst, die ihre Künste verstrickt haben.

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_263.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)