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Vogelscheuch; denn die Vögel, die sonst immer so lustig aus allen Zweigen sangen, schwiegen jetzt, sobald er da war. Es war also zuletzt ihr einziger Trost, daß er gegen den Nachmittag immer so weit war, daß er Sonne und Mond nicht mehr unterscheiden konnte. Sie gebrauchte da auch eine unschuldige List; denn wenn er sie mit seinem Nachhinken zu sehr ängstigte, blieb sie etwa an einer neuen Weinquelle stehen, die er noch nicht versucht hatte, und zeigte sie ihm; und gewöhnlich ward seine Lüsternheit dabei fest.

Das ward ihr aber sehr unangenehm, daß er endlich die Stelle ausgespürt hatte, wo sie schlief. Da kam er, wann die Nachtkälte und der Morgenwind ihn von seinem Rauschlager aufstörten, gewöhnlich in die Laube, die in ihr Schlafzimmer führte, klopfte an ihre Thüre, wispelte und lispelte, ächzete und seufzete, girrte und schwirrte, hielt feurige Reden und sang noch feurigere Lieder, bis er auch da meistens wieder einschlief und oft schnarchte, bis die Sonne schon hoch am Himmel stand. Dies Letzte war ihr das Unleidlichste, denn ihr Liebstes war, in der Frühe unter ihren Lilien zu wandeln und die Sonne über die Alpen aufsteigen zu sehen. Nun mußte sie aber drinnen warten, bis es ihm beliebte aufzustehen.

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_283.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)