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das Küchlein — dann zu Hause bleiben mußte. Und auch das kleine Schneeweißchen hatte eine unglückliche Zeit, wann Christinchen ihm fehlte, und lief dann unruhig umher und piepte und suchte, als wäre ihm sein Glück weg, und hätte sich oft beinahe die Seele ausgepiept. Sobald es aber Christinchen wiederkommen sah, drehte es sich vor Freuden auf seinen goldgelben Beinchen herum und flackete und flaggete fort und fort mit seinen Flügeln. Gewöhnlich aber waren die beiden beisammen im Garten, wo Christinchen saß und las oder strickte oder auch die Blumen begießen und Unkraut ausgäten mußte. In diesem Garten stand ein altriger Birnbaum, worunter ein großer breiter Stein lag. Auf dem Stein saß Christinchen nun immer, weil Schneeweißchen sich immer unten an dem Stein hinlegte und in der Erde kratzte und seine kleinen Flügel und F1edern mit Staub bewarf. Da konnte man sie immer finden, und die Mutter schalt Christinchen wohl oft, daß sie fast gar nicht mehr auf ihrer grünen Rasenbank saß, die ihr Bruder, ein junger Weberknapp, ihr gemacht hatte. Sie antwortete dann, die Stelle möge Schneeweißchen nicht leiden: wann sie in den Garten gehen, wolle es immer zu dem Stein, und da müsse sie wohl mit, denn wo Schneeweißchen sey, da müsse sie auch seyn.

So lebten die beiden mit einander den ganzen Frühling und Sommer als die schönsten Freunde, und Schneeweißchen hatte nichts weiter bedurft als ein paar Brodkrümchen, die Christinchen ihm immer von seinem Brödchen abgegeben; und es hatte auch sie nicht einmal bedurft

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen/Zweiter Theil. Berlin 1843, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_2_222.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)