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Sonnenlicht und Laternenlicht, aber keine Spur von ihnen gefunden, kein Mensch hat sie wiedergesehen. Mein Vater sagt, es sey große Wehklage und Trauer um sie gewesen - denn es waren Kinder ehrsamer und reicher Leute - und zuletzt in Kentz und Starkow und in allen Kirchen umher mit den Glocken um sie geläutet, als hätte ein Wolf oder Bär sie gefressen. Aber deren giebt's hier nicht; ich weiß wohl, wer der Wolf ist. Und doch hat sich's wunderlich genug offenbart: sie waren nicht von wilden Thieren aufgefressen, sondern nach acht bis zehn Jahren von Vergessenheit und Verschollenheit sind sie mit Einem Male noch ganz frisch und blank wieder unter den Lebendigen aufgetreten und haben sich nichts merken lassen. Aber die Leute hat doch eine Art Grauel vor ihnen angewandelt und haben ihrer Jungferschaft nicht recht getraut, und die armen hübschen Mädchen haben zuletzt als alte Jungfern sterben müssen.

Und nun will ich erzählen, was Jochen Eigen mir erzählt hat, der diese Geschichten am besten weiß; aber er wird sich hüten sie dem Herrn zu erzählen. Und dann wird der Herr verstehen, warum ich hübsche junge Frauen und Mädchen nicht so leichtfertig in den Wald laufen lassen will, und warum ich neulich krank ward, als ich die Nacht bei dem Fuchsbau am Burgwall, wo sie gegraben hatten, Schildwache stehen und die jungen Füchse, wenn sie etwa heraus wollten, zurücktreiben sollte.

Vor langen langen Jahren war Jochen Eigens Urgroßvater *)[1] ein prächtiger stolzer Edelmann, so prächtig

  1. *) Die Eigen sind allerdings ein altes adliches Geschlecht in der Insel Rügen gewesen, aber jetzt längst verloschen und verschollen. Möglich, daß Jochen Eigen, welchen sie gern den Edelmann schalten, aus jenem Geschlechte war. Ich habe weder Lust noch Veranlassung gehabt seinem Ursprunge diplomatisch nachzuforschen. Bei diesen Geschichten dringt sich übrigens wieder die bekannte Erfahrung auf, daß Bauren und Dienstleute in Erinnerung mancher Unbille und Ungerechtigkeiten, die ihnen von schlimmen Edelleuten widerfahren sind, indem sie der freundlichen Herren darüber vergessen, eine Freude und Ergötzung erleben, wenn sie sich mährchenhaft erzählen, wie das Unglück oder gar der Gottseybeiuns irgend einem bösen verruchten Geschlechte das Garaus gemacht habe.
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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen/Zweiter Theil. Berlin 1843, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_2_324.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)