Perron stehen. Ein Gepäckträger führt eine Berliner Familie, die auch ausgestiegen ist, und ich höre ihn sagen: »Hier, über die Bahnbrücke, zur Kleinbahn nach Garzin.«
Kleinbahn nach Garzin? also auch hier ganz Neues. Ich folge der Berliner Familie und dem Gepäckträger, der sich mit einem Fahrrad und etlichen Taschen belastet hat, über die hohe Brücke, unter der wir den Zug, der uns gebracht hat, schon nach Osten weiter rollen sehen, und steige in einen spielsachenartigen kleinen Bahnzug.
»Kein Gepäck, Madamken?« fragt mich der Dienstmann. Ich verneine leise und ziehe den dichten schwarzen Schleier fester um mich, denn ich habe den Mann sicher schon früher gesehen, und mir ist auf einmal so bang geworden, als täte ich ein Unrecht, und könne dabei ertappt werden.
Die Berliner Familie besteht aus Vater und Mutter, beide dick und behäbig, Leute, an denen alles selbstverständlich erscheint, die das Leben sicher ganz einfach und ohne viel Kopfzerbrechen nehmen, die die Sozialdemokraten verabscheuen und für Richter stimmen. Dann ist eine erwachsene Tochter da, eine offenbar höhere Tochter, vielleicht hat sie sogar das Lehrerinnen-Examen gemacht, und eine kleine, kränkliche Tochter mit altem, verbittertem
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/151&oldid=- (Version vom 31.7.2018)