Nur der große gelbe Saal imponiert der Berlinerin. Sie deutet auf die vielen weißen Gipsköpfe aus der Schinkelschen Epoche: »Du Karl, das sind wohl die Ahnen von die Besitzer?«
»Jotte doch, Mama,« antwortet die höhere Tochter zurechtweisend, »das sind doch allens jriechische Jötter und Jöttinnen.«
Wir treten in ein anderes, ganz leeres Zimmer.
»Det war det Schlafzimmer von die jnädigen Komtessen,« sagt das führende Bauernmädchen.
Ja, man hat es ihr richtig erzählt, det war det Schlafzimmer von die jnädigen Komtessen. Ich sehe noch die kleinen weißen Bettchen – jetzt ist es ganz ausgeräumt. Auf der verschossenen roten Tapete bezeichnen kräftiger gefärbte Stellen die Plätze, an denen einst Bilder hingen. An der einen Wand hängt noch ein vereinzeltes altes Gemälde. Es stellt einen Heiligen dar; ganz unbekleidet, wie durch langes Fasten abgemagert und verhärmt, sitzt er inmitten einer Felsenlandschaft und hält einen Bogen Papier, auf den er eifrig schreibt.
»Der olle Herr dort oben schreibt wohl an Wertheim um ein Hemd, « sagt der Sportjüngling. Und zwischen Tränen muß ich doch lachen, denn genau dieselbe Bemerkung haben wir damals gemacht, als der Heilige die Zielscheibe unseres jugendlichen Witzes war; nur daß es zu jenen
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/159&oldid=- (Version vom 31.7.2018)