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merken seine rasende Geschwindigkeit kaum, denn das Meer scheint in seiner völligen Glätte gar keinen Widerstand zu leisten. Blauer Himmel, blaues Wasser zittern und flimmern ineinander über – es ist, als würden wir für alle Ewigkeit so weiter gleiten, so weiter schweben – ein dunkles Pünktchen in all der Bläue! Eine seltsame traumhafte Empfindung – als trügen mich regungslos ausgebreitete Schwingen durch die Weite.

Und in der großen blauen Stille gedenk ich einer alten Sage vom Meer.

In ganz alten Zeiten, über die es keine Bücher gibt, von denen nur noch die Bewohner entfernter Küsten vom Hörensagen allerhand Geschichten kennen, war das Meer immer so still und blau wie heut, ein glatter Spiegel, drin Sonne, Mond und Sterne sich besahen und schön fanden. Niemand hatte damals je einen Sturm auf der See gesehen, man wußte noch nicht, was das sei. – Auf dem Festland lebten schon damals viele Menschen und je mehr ihrer wurden, desto größer wurden auch Schmerz, Jammer und Elend aller Art. In ihrem Kampf und Leiden schauten sie oft sehnsuchtsvoll hinaus auf die ewig gleiche stille See. Und endlich wurde ihr Unglück so groß und ihr Wunsch nach Erlösung so heftig, daß sie riefen: »Wir können es nicht länger dulden, wir wollen hinausfahren über

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Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/177&oldid=- (Version vom 31.7.2018)