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politischen und socialen Lebens in Böhmen vollzog, was damals ohne Centralisation und Befestigung der herrschenden Gewalt nicht geschehen konnte, werden oft die berühmten Reformen Maria Theresiens und Josef’s II. als das muthmassliche Grab der Böhm. Nationalität dargestellt. Und doch muss man in dem Fortschritte des materiellen Wohlstandes und in der Herausgabe des Toleranz- und Robotpatentes K. Josef’s II. die Gründe für das Aufleben des Czechischen Geistes suchen, dem auch die Germanisirenden Tendenzen des Kaisers keinen besonderen Schaden gethan, ja durch Erweckung der Gegenströmung einen neuen Aufschwung verliehen hatten.

Allein die Wirkungen eines immer mehr sich erweiternden und durchgreifenden wissenschaftlichen Lebens in Böhmen, welches durch die Gründung der Czech. Hochschule in Prag (1882) geweckt wurde, zeigen sich hoffnungsvoll auch in der neuesten Geschichtsforschung. Die Stellung der jüngeren Generation der Czech. Gelehrten in dem wissenschaftlichen Streite um die Echtheit der Königshofer und Grünberger Handschrift, von dessen Verlaufe und Erfolge in dieser Zeitschrift bereits[1] ausführlichere Berichte gegeben wurden, kann man als ein freudiges Symptom der neuen Richtung annehmen: der reinen wissenschaftlichen Wahrheit werden ohne Erbarmen und Mitleid alle, selbst die glänzendsten Illusionen und phantastischen Producte der älteren romantischen Periode geopfert. Aus diesen idealen und aufopfernden Bestrebungen der jüngeren Czech. Gelehrtenwelt sind auch die neuesten Versuche um systematische Bearbeitung der neueren Böhm. Geschichte hervorgegangen. Es ist ein grosses Verdienst des Prof. A. Rezek, dass er in wahrer Würdigung des dringenden Bedürfnisses einer neueren Geschichte Böhmens, dieses Schlüssels zum Verständniss der neueren Entwicklung der politischen und socialen Stellung des Böhm. Volkes, seine Forschung auf die Periode des 17. und 18. Jahrhunderts concentrirt. Schon in seiner Geschichte der volksthümlichen religiösen Bewegung in Böhmen, deren I. Band die Zeit der gewaltthätigen kath. Gegenreformation (1620–1781) enthält, wurde das werthvollste Material zur Böhm. Culturgeschichte dieser für das Böhm. Volk so traurigen Periode gesammelt und erläutert. In unserem ersten Berichte haben wir auch das andere Unternehmen des fleissigen Gelehrten gewürdigt, die Fortsetzung der Böhmisch-Mährischen Chronik. Diese Publication, welche jetzt auf einer ganz veränderten Grundlage basirt ist, dient nicht nur den früheren Bedürfnissen als ein für die weitesten Kreise zugängliches Geschichtswerk, sondern bietet auch einen Leitfaden für die Czech. Historiker, Literaten und Politiker;

  1. Siehe Bd. II S. 180–82 u. Bd. IV S. 144–46.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_05_379.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)