Die Neuere Böhmische Geschichtsforschung

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Autor: Jindřich Vančura
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Titel: Die Neuere Böhmische Geschichtsforschung
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aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 2 (1889), S. 176–192.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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Die neuere böhmische[WS 1] Geschichtsforschung.


Es scheint zweckmässig, unsere Berichterstattung über böhmische Geschichtsforschung mit einer etwas zurückgreifenden Uebersicht der neuesten wissenschaftlichen Thätigkeit auf diesem Gebiete zu beginnen.

Als Ausgangspunkt wählen wir das Todesjahr Fr. Palacký’s, des berühmten böhmischen Landeshistoriographen († 1876), welches in der Geschichte der inneren Entwicklung der böhm. Nation einen bezeichnenden Wendepunkt bildet. Der Name Palacký stellt uns den vornehmsten Repräsentanten jener idealen patriotischen Richtung dar, welche aus den Erfolgen der unter K. Josef II. belebten wissenschaftlichen Bestrebungen den Impuls nahm, die in den vorangehenden Jahrhunderten verfallene böhmische Sprache in die Poesie und Wissenschaft wieder einzuführen und ihr den früheren Einfluss und neue Geltung in dem öffentlichen Leben wieder zu verschaffen. Der Versuch gelang, und das grösste Verdienst darum gebührt dem unermüdlichen und schöpferischen Geiste Palacký’s. Die böhmische Geschichtsforschung insbesondere wird den scharfblickenden grossen Slavisten Dobrovský [177] in dankbarer Erinnerung behalten, der in den 20er Jahren den jungen Mährer zur historischen Arbeit ausgewählt und aufgemuntert hatte. Durch ein halbes Jahrhundert blieb Palacký Mittelpunkt der böhm. Geschichtsforschung, welche unter seiner Leitung grosse Fortschritte zu verzeichnen hatte. Welch ein Unterschied zwischen der historischen Auffassung und Schilderung in seiner Geschichte Böhmens und jener seines unmittelbaren Vorgängers Fr. Pubička, der auf einem trockenen annalistischen Standpunkte stehen blieb! Welch ein Unterschied zwischen den Quellenpublicationen eines Balbin, Dobner und zwischen den Sammlungen, die Palacký in den 60–70er Jahren besorgt hat! Neuerschlossene Quellen, eine nüchternere objectivere Auffassung und eine eingehendere Kritik des Quellenmaterials haben an Palacký’s berühmtem Hauptwerke schon viel verändert und werden noch viel an ihm zu corrigiren haben. Allein wir dürfen nicht vergessen, dass zu diesem Fortschritte Palacký selbst durch seine zahlreichen Quellenpublicationen und durch seine Fürsorge für weitere Pflege der Geschichtsforschung die Bahn gebrochen hat.

Wir wollen unsere Aufmerksamkeit zuerst den neuesten Quellenpublicationen für die ältere Zeitperiode, welche schon Palacký zum Gegenstande seiner Forschung machte, zuwenden.

Das böhmische Diplomatar, zu welchem Palacký seit dem Jahre 1831 Vorbereitungen traf, indem er im böhm. Museum Tausende von Copien und Urkunden für die Zeit der Přemyslidenherrschaft ansammelte, wurde noch nicht herausgegeben. In dieser Hinsicht wurde Böhmen durch das Schwesterland Mähren übertroffen, wo durch die Munificenz der mähr. Stände schon im J. 1836 mit der Herausgabe des Codex diplomaticus et epistolaris begonnen wurde. Unter der Leitung des unermüdlichen mähr. Landesarchivars V. Brandl wurde schon der XI. Quartant (1875–1890) dieser Publication veröffentlicht. Zum böhmischen Diplomatar werden derzeiten fleissige Vorbereitungen vom böhm. Histor. Vereine gemacht. Unter Aufsicht des Prager Stadtarchivars und Univ.-Prof. J. Emler wurde eine immense Zahl von Urkunden in den heimischen und fremdländischen Archiven copiert. Wenn die ganze Arbeit nach dem versprochenen Plane ausgeführt wird, so können wir uns auf eine besonders reichhaltige Publication freuen, die das ganze urkdl. Material bis zu den Anfängen der hussitischen Kriege enthalten wird. Den Mangel eines böhm. Diplomatars ersetzen inzwischen die „Regesta diplomatica necnon epistolaria“, welche nach dem Tode K. J. Erben’s Prof. J. Emler weiter führt, und von denen er bereits den IV. Band herausgegeben hat. Die Publication geschieht auf Kosten der k. böhm. Ges. d. Wiss.

[178] Durch die materielle Unterstützung des böhm. Landtages wurde neuestens die Fortsetzung des „Archiv český“, einer Sammlung von böhmisch geschriebenen Geschichtsquellen, die im J. 1840 begonnen, durch die Ungunst der polit. Verhältnisse im J. 1872 mit dem VI. Bande aufgegeben wurde, wieder in Angriff genommen. Die wissenschaftliche Leitung wurde der k. böhm. Ges. d. Wiss. anvertraut, welche dazu aus ihrer Mitte eine Commission wählte (Tomek, Gindely, Emler, Kalousek, Goll, Čelakovský und Rezek). Der prächtige, inhaltsreiche VII. und VIII. Band (1887–88), deren Redaction Univ.-Prof. Dr. J. Kalousek führte, enthalt zahlreiche Qn.-Sammlungen aus dem fürstl. Schwarzenbergischen A. in Wittingau, aus dem Budweiser Stadt-A., aus der k. k. Prager Univ.-Bibliothek, die Register des Kammergerichtes, das Diarium der böhm. Gesandtschaft zum französischen Hofe im J. 1464.

Allein das grossartigste Archiv des ganzen Königreichs ist der böhm. Forschung durch den schrecklichen Brand vom J. 1541 verloren gegangen: die böhm. Landtafel, in welche nicht nur alle gerichtlichen Acte, alle Besitzveranderungen, sondern auch die Landtagsbeschlüsse aufgezeichnet worden waren. Einige von den Ueberresten, die sich zufällig erhalten hatten, wurden bereits von Palacký im Archiv český abgedruckt; die ganze Sammlung aber wurde von Dr. J. Emler auf Kosten des Grafen Heinrich von Clam-Martinic in zwei Bänden herausgegeben. Palacký war es auch, der auf den für die böhm. Forschung aus den Formelbüchern fliessenden Nutzen schon im J. 1832 in der böhm. Musealzeitschrift hinwies und in dem instructiven Werke: „Ueber Formelbücher“ zuerst wichtige Muster aus etlichen Sammlungen veröffentlichte. Zu den fleissigsten Herausgebern auf diesem Gebiete gehört in der neuesten Zeit F. Tadra, Scriptor der k. k. Universitätsbibliothek zu Prag, welcher in den Publicationen der Wiener Ak. Formelbücher des Prager Erzbischofs Ernst von Pardubic (1880), des Olmützer Bischofs Johann von Neumarkt (1882) und die Summa Gerhardi aus der Zeit des K. Johann von Böhmen (1882) herausgab. Eine ausserordentliche Bereicherung erwartet die böhm. Qn.-Forschung aus den päpstl. Registern des vatic. Archives, zu deren Durchforschung der böhm. Landtag eine beträchtliche Summe bewilligte.

Mit Ausnahme der Sammlung: „Staří letopisové čeští“ (die alten böhm. Annalen) besorgte Palacký keine weitere Ausgabe böhm. Chroniken, deren Werth er in dem preisgekrönten Werke: „Würdigung der böhm. Geschichtschreiber“ (1830) so trefflich und meisterhaft charakterisirt hatte. Wozu er selbst nicht gelangte, dafür trachtete er andere Kräfte zu gewinnen, indem er aus dem Geschenke, welches [179] ihm bei der Feier seines 70. Geburtstages von Freunden und Verehrern gewidmet wurde, einen Fonds „zur Förderung der böhm. Geschichtschreibung“ gründete. Aus diesem Fonds wurden unter Leitung Prof. Emler’s bereits vier stattliche Bände der Fontes rerum bohemicarum herausgegeben. Der erste Band enthält die altslav. und lat. Legenden der heimischen Heiligen, die Biographien der Prager Erzbischöfe Ernst von Pardubic und Johann von Jenzenstein und die des eifrigen Predigers Johann Milič von Kremsier; der zweite die Chronik des berühmten Cosmas und dessen Fortsetzer; der dritte die böhm. Reimchronik des sogenannten Dalimil mit einer alten gereimten und einer prosaischen dt. Uebersetzung; der vierte die Königsaaler Chronik und die Annalen der beiden Canonici Franciscus von Prag und Benessius Krabice von Weitmil. Für den nächsten Band wird die böhm. Chronik des Pulkava, eines Zeitgenossen K. Karl’s IV., vorbereitet. Die Uebersetzung der lat. Texte ins Böhmische (meisterhaft ist die des Cosmas durch Tomek) wurde vom vierten Bande an aufgegeben.

Klein von Umfang, aber wichtig durch ihren Inhalt sind: Die Chronik von Johann Žižka, welche nach einer Freiberger Handschrift aus dem 15. Jahrhundert J. Goll (1878) herausgab und die Memoiren über den Prager Aufstand im J. 1524, welche nach einer Brünner Handschrift A. Rezek besorgte (Abh. der böhm. Ges. d. Wiss. 1881).

Von den wissenschaftlichen Bearbeitungen der böhm. Geschichte älterer Zeit sind derzeit besonders Mährens Geschichte von Dr. B. Dudik und die Geschichte der Stadt Prag von W. W. Tomek hervorzuheben.

Auf breiter Grundlage mit kritischer Benutzung des gesammten Qn.-Materials ist das Werk des gelehrten Benedictiners Dr. B. Dudik aufgebaut. Mit besonderer Vorliebe und Gründlichkeit werden die culturellen Verhältnisse ausführlich geschildert. Von dem Werke sind mit Hilfe des mähr. Landesausschusses 1875–84 bereits neun Bände erschienen, welche die Ereignisse bis zum Aussterben der Přemysliden begleiten.

Tomek’s Geschichte der Stadt Prag enthält mehr, als der Titel meldet: eine ausführliche Geschichte Böhmens, dessen Geschicke in denen der Hauptstadt sich abspiegeln. In den J. 1855–86 sind sieben Bände erschienen, welche die Zeitperiode bis zum Olmützer Frieden 1478 schildern. Der Werth dieser monumentalen Arbeit wächst mit jedem Bande, und die Kunst des Autors culminirt besonders in der Schilderung des bewegten 15. Jahrhunderts. Einzelne hervorragende Personen werden hier nüchterner und mehr realistisch als bei Palacký charakterisirt. Besonders fällt dieser Unterschied in [180] die Augen bei K. Georg von Poděbrad, dessen Person Palacký gerade idealisirt hatte.

Das angesammelte Qn.-Material über Johann Žižka v. Trocnov, das in der Geschichte Prags nicht benutzt werden konnte, gab Tomek Anlass zur Bearbeitung einer Biographie (1879), welche viele neue Data enthält und durch eine neue treffliche Charakteristik dieses berühmten Feldherrn sich auszeichnet, übrigens auch in dt. Uebersetzung erschienen ist.

Unter den Correcturen, welche Tomek’s Forschung an manchen Ergebnissen Palacký’s angebracht hat, ist besonders die veränderte Auffassung der Přemysliden-Restauration v. J. 1003 hervorzuheben. Unbewusst berührte er damit eine Frage, deren Lösung ganze Partien der hist. Auffassung Palacký’s bis in die Grundlagen erschüttert. So fest war Palacký’s Glaube an die Echtheit der epischen Gedichte der sog. Grünberger und Königinhofer Hs., dass er sich nicht begnügte, dieselben zur Schilderung der culturellen altböhm. Verhältnisse zu benutzen, sondern auch – was der ganzen Natur der epischen Poesie zuwider ist – als urkundliches oder annalistisches Qn.-Material der Erzählung der politischen Ereignisse zu Grunde legte. Er berichtete nach ihnen Ereignisse, von denen alle anderen Quellen schweigen, und auch für die Restauration der Přemysliden im J. 1003, über welche ausführliche Nachrichten bei Thietmar von Merseburg und Cosmas vorliegen, hielt er sich an das Gedicht der Königinh. Hs. „von der Vertreibung der Polen“. Tomek nun, der über die alte Topographie Prags die eingehendsten Studien gemacht hatte, bewies in einer Abhandlung der böhm. Musealzeitschrift (1849), dass die Angaben des Gedichtes mit der Thatsache, dass die Prager Altstadt am Anfange des 11. Jahrhunderts noch eine offene Stadt war, nicht zu vereinbaren sind. Und im ersten Bande seiner Geschichte Prags (1855) schilderte er das Ereigniss, ganz abweichend von Palacký, nach den glaubwürdigen Nachrichten der alten Chronisten. Dabei gelangte er indessen zu keiner anderen Conclusion, als dass das Gedicht nicht, wie Palacký annahm, mit den besungenen Ereignissen gleichzeitig sei, sondern erst aus dem Ende des 13. Jahrhunderts herrühren könne, denn auch er glaubte mit anderen fest an die Echtheit der Hss. Allein die Zeichen der Unechtheit dieser Denkmäler mehrten sich durch die Forschungen der deutschen Gelehrten; die Apologie der Gebrüder Jireček (1862) war ungenügend, aber die Autorität Palacký’s schützte in Böhmen die in der Fremde immer mächtiger angegriffenen Handschriften. Erst mit dem Tode Palacký’s (1876) fiel der Strom des Misstrauens und Zweifels auch in die böhm. Länder ein. Im J. 1877 wurde in der böhm. Musealzeitschrift die [181] Unechtheit der Glossen der „Mater verborum“ von böhm. Gelehrten nachgewiesen, und gleich darauf folgten die trefflichen philologischen Einwendungen des Prof. Vašek gegen die Königinhofer Hs. Die Eröffnung der böhm. Hochschule in Prag (1882) und die damit verbundene Anregung der wissenschaftlichen Bestrebungen in Böhmen hatte im J. 1886 eine neue gründliche Durchforschung der angezweifelten Hss. durch alle betreffenden Disciplinen zur Folge. Obgleich die böhm. Publicistik die streng wissenschaftliche Frage in die uneingeweihten Massen des Volkes warf und einen unerhörten Terrorismus gegen die zweifelnden Forscher entfesselte, zeigte sich gegen die Erfolge der wissenschaftlichen Forschung bald der Widerstand kraftlos. Prof. Dr. J. Gebauer, dem ausgezeichneten Kenner der altböhmischen Sprache und Literatur, und seinen unerschrockenen Freunden an der böhm. Universität gehört in der That das Verdienst, „durch Hinwegräumung eines gefälschten literarischen Balastes der böhm. Nation das kostbarste Erstlingsgeschenk einer wissenschaftlichen Forschung, wie sie eine Hochschule fordert, dargebracht zu haben“.

Neben der böhm. Philologie ist es die böhm. G.-Forschung, die den grössten Nutzen aus der endlichen Beseitigung der gefälschten Hss. ziehen wird.

Vom hist. Standpunkt wurde die Unechtheit der Königinhofer Hs. oder vielmehr der drei epischen Gedichte derselben in der Publication des Prof. Dr. J. Goll: Historický rozbor básní R. Kr.: Oldřicha, Beneše a Jaroslava (Prag 1886) klargelegt. In dieser hist. Analyse werden zuerst die Resultate, zu welchen Tomek im J. 1849 in Bezug auf das Gedicht Oldřich gelangte, weiter ausgeführt, das Gedicht wird nach vergleichender Methode analysirt und die schon von Büdinger und Nebeský bemerkte Congruenz mit der Erzählung Hájek’s (16. Jahrh.) durch die Vorlage erklärt, die der Fälscher in dessen Chronik vorfand. Die Nachricht von der zweimaligen Thronbesteigung Jaromir’s, in welcher Palacký ein Merkmal besonderer Alterthümlichkeit des Gedichtes sah, weil die heimischen Chroniken davon schweigen, konnte der Fälscher aus Dobner’s Annalen (1772) schöpfen. Ebenso wurden die Quellen für die Construction des Helden eines anderen Gedichtes Beneš-Hermanov nachgewiesen, obwohl sich Palacký das Verdienst zuschrieb, diese Person erst aus den Urkunden des 11.–13. Jahrhunderts eruirt zu haben. Die ganze Schilderung des Sachseneinfalles hat eine auffallende Aehnlichkeit mit Hájek’s Erzählung von der traurigen Brandenburger Herrschaft nach dem Tode Přemysl’s II. Auch der Inhalt des dritten Gedichtes „Jaroslav“ wird vom Verf. auf seine Quellen zurückgeführt. Besonders interessant ist die Entwickelungsgeschichte der Sage von dem angeblichen Siege der Tataren bei [182] Olmütz, wie sie sich seit Dalimil und Pulkawa allmählich heranbildete, bis wir sie im 17. Jahrhundert bei Pešina u. s. w. in ausführlichster Darstellung finden, welche auch der Dichter benutzte.

Prof. Goll gelangte demnach zu dem Resultate, dass die epischen Gedichte der K. Hs. unmöglich in der alten Zeit entstanden sein können, sondern als Geistesproduct eines modernen Dichters gelten müssen. Gegen die trefflichen Beweise Goll’s suchte umsonst Prof. W. W. Tomek, der den Vertheidigern der K. Hs. in der böhm. Musealzeitschrift (1887) hilfreich beigesprungen war, zu beweisen, dass Hájek aus dem Gedichte der K. Hs. geschöpft habe. Ebenso wollte Prof. A. Truhlář in Beckovský’s Schilderung (Poselkyně 1700) der Tatarenniederlage bei Olmütz eine offenbare Reminiscenz an das Gedicht „Jaroslav" erblicken. Allein wer erkannt hat, wie in den serbischen und russischen Chroniken ganze Paraphrasen der volksthümlichen epischen Gedichte vorkommen, so dass auch in der prosaischen Erzählung sich doch die poetische Form des Ausdruckes erhält, und dagegen den prosaisch trockenen und jeder dichterischen Erhebung baren Stil Hájek’s und Beckovský’s erwägt, der wird auch die Meinung der beiden Vertheidiger als eine unhaltbare zurückweisen.

Eine ähnliche Aufgabe wie Prof. Goll bei der K. Hs., unternahm Prof. Masaryk in Hinsicht „der inneren Wahrhaftigkeit“ der sog. Grünberger Handschrift (im Archiv für slav. Philologie 1887). Unwiderstehlich ist auch da der Beweis von der modernen Fälschung geliefert, und es wird das sämmtliche Material, welches dem Fälscher in der damaligen Literatur zu Gebote stand, vorgeführt. Auf diese Weise wurde die Forderung, die der bekannte russische Gelehrte Pypin in seiner Geschichte der slav. Literaturen gestellt hatte, durch die allseitige Prüfung der fraglichen Hss. erfüllt, denn es ist nicht nur durch die einschlägigen Disciplinen die Fälschung nachgewiesen, sondern es sind auch die Quellen derselben aufgedeckt worden.

Für die spätere Zeit der böhm. Geschichte nach dem J. 1526 ist das reichste Qn.-Material in dem k. böhm. Landesarchive angesammelt, das grösstentheils den grossen Geschichtswerken des Prof. A. Gindely zur Grundlage diente. Unter der Leitung desselben Gelehrten wird seit dem J. 1877 auf Kosten des böhm. Landesausschusses eine monumentale Qn.-Publication unter dem Titel: „Sněmy čes. od r. 1526 ažpo naši dobu“ („Die böhm. Landtagsverhandlungen und Landtagsbeschlüsse vom J. 1526 bis auf die Neuzeit“) herausgegeben. Diese sehr reichhaltige Sammlung bringt nicht nur die Landtagsbeschlüsse als Resultate der ganzen Landtagsverhandlungen, sondern auch k. Propositionen und Instructionen, Briefe, Berichte von dem Verlaufe der Landtage, aus welchen die Verhältnisse der polit. [183] Parteien zu einander und zum Könige ersichtlich sind. Der bereits erschienene vierte Band (1574–1575) ist von besonderer Wichtigkeit für die Verhandlungen der Parteien über den religiösen Frieden im Lande. Wir finden da eine ganze Menge von Documenten, die sich auf diesen denkwürdigen Landtag beziehen, besonders die Briefe K. Maximilian’s II., das Diarium des aus den Ereignissen des J. 1547 bekannten Sixt von Ottersdorf, die Aufzeichnungen der böhm. Brüder aus dem Herrnhuter Archive. Schon daraus kann man erkennen, was für eine reiche Quelle aus dieser grossartigen Sammlung für die ganze spätere böhm. Geschichte fliesst.

Aus Mangel an Unterstützung ging die umfangreiche Quellenpublication: „Monumenta Historiae Bohemiae“ (1865–1870) ein, welche die werthvollen Aufzeichnungen Skála’s und Slavata’s von dem Verlaufe der religiösen Zwistigkeiten und des 30jährigen Krieges gebracht hatte. Den Anfang der geschichtlichen Aufzeichnungen des Grafen W. Slavata aus den J. 1601–1603 entdeckte und veröffentlichte Prof. A. Rezek (Abhh. der böhm. Ges. der Wiss. 1888). Von demselben Gelehrten wurden auch herausgegeben: die Memoiren des Nikolaus Dačický von Heslov, welche für die böhmische Culturgeschichte des 17. Jahrhunderts und für die G. Kuttenbergs von besonderer Wichtigkeit sind, und der zweite Theil der grossen böhm. Chronik des Kreuzherrnpriesters Joh. Beckovský (1526–1715), welche hauptsächlich für die G. des 30j. Krieges viele neue Nachrichten enthält.

Die Schlacht bei Mohács bildet einen entscheidenden Wendepunkt in der böhm. Geschichte, indem durch die darauf folgende Wahl Ferdinand’s von Habsburg die Länder der böhm. Krone in den Verband mit den österreichischen und ungarischen Ländern traten und aus dem freiwilligen Staatenbunde sich allmählig das mächtige Habsburgerreich entwickelte. Mit dem J. 1526, wo Palacký’s Geschichte aufhört, beginnt die geschichtliche Forschung und Schilderung des Prof. A. Gindely. Schon in seiner älteren Geschichte der böhm. Brüder findet sich eine Darstellung der Regierungszeit K. Ferdinand’s I. Allein eine ausführlichere[WS 2] wissenschaftliche Arbeit über diesen Regenten, der durch sein staatsmännisches Talent zum eigentlichen Begründer der Habsburger Monarchie wurde, gibt es noch nicht in der böhm. histor. Literatur. Hoffnungsvolle Anfänge dazu erblicken wir in den Abhandlungen des Prof. A. Rezek, die in der böhm. Musealzeitschrift (1876–1877) veröffentlicht wurden und später in einer dt. Bearbeitung als erster Theil der G. der Regierung Ferdinand’s I. (Prag 1878) erschienen. Es darf mit Recht erwartet werden, dass Prof. Rezek als Nachfolger Tomek’s auf der Lehrkanzel der [184] österr. G. an der Prager böhm. Universität die mit grossem Fleiss und Gründlichkeit begonnene Arbeit fortführen werde. Derselbe Verf. ergänzte in den „Památky Archaeologické“ (Arch. Denkmäler 1876) eine ältere histor. Arbeit des Prof. K. Tieftrunk: Odpor stavů čes. proti kr. Ferdinandovi I. (Der Widerstand der böhm. Stände gegen K. Ferd. I. 1872) durch ein Verzeichniss aller damals confiscirten Güter in Böhmen, das nach den Aufzeichnungen der böhm. Landtafel mühsam zusammengestellt wurde. Neuestens übernahm Prof. Rezek auch die Fortsetzung der beliebten Českomoravská Kronika (der böhmisch-mährischen Chronik). In Anlehnung an Palacký wurde dieses volksthümliche Geschichtswerk von K. Zap gegründet und bis zur Jagellonenzeit fortgeführt. Sein Nachfolger J. Kořán fand in den Publicationen Gindely’s sein Hauptmaterial. Nachdem diese Quelle später versiegt, hörte das Erscheinen des Werkes auf einige Zeit auf. Erst unlängst nahm sich seiner Fortsetzung Prof. Rezek an; er beabsichtigt, sie bis in die neueste Zeit fortzuführen. Die neue Arbeit wird auf selbständiger Durchforschung des gedruckten und hs. Qn.-Materials beruhen; sie will zwar auch wie die früheren Theile durch die Form der Erzählung den weitesten Kreisen zugänglich bleiben, daneben aber auch wissenschaftlichen Bedürfnissen entsprechen durch gewissenhafte Aufzählung der benutzten Quellen. Als Separatabdruck erschien im J. 1888 die Geschichte des Sachseneinfalles im J. 1631, welche alle die erwähnten guten Eigenschaften ihres Verfassers an sich trägt.

Das grosse wissenschaftliche Werk, welches der Landesarchivar Prof. Dr. Ant. Gindely über die Geschichte des 30j. Krieges in böhm. und dt. Sprache veröffentlicht, gelangte im J. 1880 bis zum vierten Bande, in welchem die Ereignisse des kurpfälzischen Krieges geschildert werden. Die grosse Bedeutung dieses Geschichtswerkes, in welchem nicht nur die G. Böhmens, sondern auch die G. des mittleren und südwestlichen Europas ihren Platz findet, und die Vorzüge der Schilderung Gindely’s sind so bekannt, dass es unnöthig wäre, sie hier ausführlich auseinanderzusetzen. Neben der neuesten reichen Qn.-Publication desselben Gelehrten über Waldstein während seines ersten Generalats (1886) ist eine fleissige Studie des Fr. Dvorský, Adjuncten des böhm. Landesarchives, in der böhm. Musealzeitschrift (1885) zu erwähnen, in welcher von den Jugendjahren Waldstein’s, von seinen ersten Kriegsdiensten und von den letzten vier Tagen – worüber bisher spärliche Daten bekannt waren – ausführliche Nachrichten verzeichnet werden.

Als ein hochwichtiger Nachtrag zur Geschichte des böhm. Aufstandes verdient das Werk Th. Bílek’s: Dějiny konfiskací v Čechách [185] po roce 1618 (G. der Confiscationen in Böhmen nach dem J. 1618) erwähnt zu werden – das böhm. Domesdaybook in der G. des 30j. Krieges, eine der mühevollsten Arbeiten, die je in der heimischen G.-Forschung unternommen worden sind. Auf Grund der amtlichen Acten des Prager Statthalterei-Archives übersehen wir einen Theil der bodenlosen Misswirthschaft, welche nach der unglücklichen Schlacht auf dem Weissen Berge die höheren Stände des böhm. Volkes traf, als beinahe drei Viertel der Güter in Böhmen den verschiedenen geistlichen Corporationen, wichtigen Persönlichkeiten oder Gläubigern theils geschenkt, theils spottbillig verkauft wurden. In der verdienstvollen Arbeit findet man zugleich einen festen Grund für die neuere Topographie und eine unerschöpfliche Fundgrube für die Genealogie des heimischen und fremdländischen im Lande neu angesiedelten Adels.

Die Geschichte des inneren Lebens in Böhmen würde reiche Quellen in den historischen Monographien einzelner Städte und Stände finden. Tomek’s G. der Stadt Prag kann heute als die lehrreichste Culturgeschichte Böhmens gelten und zugleich als Musterwerk solcher monographischen Arbeiten dienen; ebenso kann auch die Sorge der Hauptstadt Prag um ihr Archiv als musterhaft anerkannt werden. Allein dasselbe können wir nicht von anderen böhm. Städten sagen, deren werthvollste G.-Quellen unangerührt im Staube ungeordneter Archive liegen. Wie vandalisch wurde z. B. noch in den 70er Jahren in Königgrätz mit den alten Stadtbüchern umgegangen! Erst in der neuesten Zeit wurden nach dem Beispiele Prags in einigen Städten (Pilsen, Klattau, Časlau) eigene Stadtmuseen gegründet, wo für Erhaltung der heimischen G.-Quellen Sorge getragen wird. Was die einzelnen Bearbeitungen der Städtegeschichte anlangt, so müssen wir die beiden neuesten Publicationen des Prof. Tomek hervorheben: a) Příběhy kláštera a města Police nad Metují (G. des Klosters u. der Stadt Polic an der Methau, Prag 1881), welche werthvolle Beiträge zur G. d. Colonisation Böhmens in der älteren Zeit und der schles. Kriege unter Maria Theresia enthält; die letzteren wurden aus den gleichzeitigen bisher unbenützten Denkbüchern des Braunauer Klosters geschöpft; b) Místopisné paměti města Hradce Kr. (Topographische G. d. Stadt Königgrätz. Prag 1885), eine Geschichte der Geburtsstadt unseres berühmten Geschichtsschreibers, welcher durch Schleifung der Festungsmauern eine bessere Zukunft aufgeht. Neben Königgrätz besitzt noch Kolín an der Elbe eine gründliche Monographie in dem Werke des Prof. Vávra (1888). Von den anderen nach Prag wichtigsten Städten: Kuttenberg, Pilsen, Tábor, Tauss hat bisher keine eine vollkommene Bearbeitung ihrer Geschichte erhalten, obwohl manches werthvolle Material durch den Fleiss der heimischen Mittelschullehrer [186] (Řehák, Slavík, Strnad, Kolář) zusammengetragen wurde. Aus der Reihe dieser strebsamen Arbeiter ist besonders der Táborer Professor A. Sedláček hervorzuheben, dessen gründlich vorbereitetes, grossartig angelegtes und reich illustrirtes Werk: Hrady a zámky země české (Die Burgen und Schlösser Böhmens, Prag 1882 ff.) zu den bemerkenswerthesten Erscheinungen der neuesten böhm. histor. Literatur gehört. Eine der wichtigsten Partien der böhm. Culturgeschichte, das Leben der höheren Stände im Lande, erhält dadurch viele Aufklärungen; auch die histor. Hilfswissenschaften: Genealogie, Sphragistik, Heraldik finden darin ihre reichen Quellen.

Für die Geschichte des Bauernstandes und der Unterthänigkeitsverhältnisse wurde noch wenig Qn.-Material gesammelt. Zu den wichtigsten gehören die verschiedenen Urbarien, z. B. das Urbarium der Rosenberger Herrschaft aus dem J. 1379, welches J. Truhlář im J. 1880 in d. Abhh. d. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften herausgab. Die übrigen, soweit sie in die Zeit vor 1400 fallen, hat J. Emler gesammelt und herausgegeben (Decem registra censuum 1881). Anlass zu einer intensiveren Forschung in dieser Richtung gab Fürst Georg von Lobkovic, indem er zu diesem Zwecke der k. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften einen Fonds widmete. Die Aufgabe, diese wichtige Partie der böhm. Culturgeschichte zu bearbeiten, übernahm Prof. Dr. J. Kalousek. Neben den heimischen G.-Quellen wird diese Arbeit auch ein vergleichendes Studium über das Leben und sociale Einrichtungen des Bauernstandes in Russland und Serbien erheischen, mit welchen die ältesten slavischen Verhältnisse in Böhmen viel Aehnlichkeit haben. Es ist dabei dem Forscher Glück zu wünschen, dass der handschriftliche Streit in Böhmen in eine Phase gelangt ist, in welcher wir denselben als beendigt ansehen können. Prof. Kalousek trat zwar in diesem Kampfe als ein eifriger und streitbarer Verfechter für die Echtheit der angegriffenen Denkmäler auf und wagte es, auch das Feld der altböhmischen Philologie zu betreten. Allein auf diesem Gebiete konnte er gegen den Fachmann Prof. Gebauer nicht aufkommen, und auch die histor. Beweise vermochte er nicht zu widerlegen. Wir sind der Hoffnung, dass der Autor bei der Bearbeitung seines neuen Gegenstandes das Ergebniss dieser wissenschaftlichen Erörterung, den Sieg der Wissenschaft über den Glauben, auch seinerseits anerkennen wird.

Allein die interessanteste Partie in Böhmens Culturgeschichte bildet die G. des geistigen Lebens, wie sich dasselbe in Religions-, Kirchen-, Rechts- u. Literatur-G. kundgibt. Was die böhm. Kirchen-G. anlangt, so ist diese seit dem Anfange des Christenthums mannigfaltig und ereignissreich. In den böhmischen Ländern fand der [187] Kampf zwischen slavischer und lateinischer Liturgie statt, welcher mit dem Siege der letzteren endete. In Böhmen war der Schauplatz der reform. Thätigkeit, die Mag. Johann Hus eröffnete, die aber später auf halbem Wege stehen blieb und, obwohl sie von der Unität der böhm. Brüder mit vielem Ernst und Eifer übernommen wurde, doch in dem Kampfe mit der utraquistischen Kirche, welche in die luther. Strömung gerieth, und mit der neu belebten und durch die Gunst des königl. Hofes erstarkenden kath. Kirche unterlag. Die Schrecken der kath. Gegenreformation hörten erst unter der humanen und toleranten Regierung K. Josefs II. auf.

Eine stattliche Reihe von Quellensammlungen zur böhm. Kirchengeschichte wurde bereits herausgegeben. Zu den älteren Publicationen Dudik’s (Statuta Arnesti) und Höfler’s (Acta conc. Prag.) treten neuere von F. Tadra (Cancellaria Arnesti 1880) und F. Menčík Několik statutův a nařízení arcibp. Arnošta a Jana 1882 (Nachträge zu den Statuten der Erzb. Arnest u. Johannes) hinzu. Die Publication der Libri confirmationum, welche auf Kosten des histor. Vereines vom Prof. Emler herausgegeben worden, ist mit dem X. Band soeben beendet. Von den Libri erectionum, einer Art von Landtafel der Geistlichkeit, in welche alle Fundationen, Beschenkungen von Kirchen, Pfarren, Schulen, Altären eingetragen wurden, wurde im J. 1884 der fünfte Band (1398–1407) veröffentlicht. Die Publication wird auf Kosten des Prager theol. Doctorencollegiums von Dr. Kl. Borový gewissenhaft besorgt.

Andere wichtige Quellen aus dem 14. Jahrhundert (Acta consistorii, Liber visitationis, Acta judiciaria), auf deren Grundlage Tomek die glänzendsten Partien des III. Bandes seiner G. Prags aufgebaut hatte, schlummern noch in dem reichen Prager Capitelarchive. Eine noch grössere Arbeit erwartet die böhm. G.-Forschung in der Herausgabe latein. und böhm. relig. Schriften der Vorgänger Hus’, denn nicht einmal die Werke eines Štítný, der doch ein Classiker der altböhm. Literatur war, sind wissenschaftlichen Ansprüchen genügend veröffentlicht worden. Wer wird es zum Nutzen und Frommen der böhm. G.-Forschung unternehmen, eines der reichhaltigsten und wichtigsten böhm. Archive zu publiciren, welches die Brüder-Unität als ein werthvolles Vermächtniss hinterliess? Von den zwölf grossen Folianten, welche für die böhm. Cultur-G. des 15.–17. Jahrhunderts die wichtigsten Aufzeichnungen enthalten, werden elf in Herrnhut, der zwölfte in der Prager Musealbibliothek aufbewahrt. Die Beschreibung derselben von Prof. Goll kann man in der böhm. Musealzeitschrift (1876) nachlesen.

Von einzelnen Perioden der Kirchen-G. Böhmens erweckte in [188] den letzten Jahren die G. der Wirksamkeit der beiden Slavenapostel Konstantin und Methodius allgemeineres Interesse. Gelegentlich der Feier des Millenariums des Sterbejahres des heil. Methodius zeichnete sich in dieser Beziehung besonders Mähren aus. In der Collection: Sborník Velehradský (1880–1885 in fünf Bänden) wurde eine Reihe von Abhandlungen und Studien verschiedener Autoren besonders aus dem Kreise der katholischen Geistlichkeit, veröffentlicht. Allein dieselben führten zu keinem bemerkenswerthen Fortschritt in den verschiedenen dunklen und problematischen Controversen. Eine einseitige Tendenz beherrscht alle diese Publicationen ebenso, wie das umfangreiche Werk des Canonicus Dr. M. Procházka: Život sv. Methoděje (1885), in welchem übrigens einzelne Partien ein ernstes Studium zeigen. Eine der vielen Controversen scheint durch den Beweis Procházka’s von dem griech. Charakter und Ursprung der slavischen Liturgie entschieden zu sein.

Die Vertiefung in die G. des heil. Methodius, welche sich durch den Kampf der slav. und latein. Liturgie kennzeichnet, führte zu einer besonderen Richtung in der G.-Schreibung eines Theiles der mähr. Historiker, indem diese auch die unmittelbar nächste böhm. G. durch diesen Streit der beiden Liturgien zu erklären suchten. Allein der Mangel an wissenschaftlicher Vorbereitung, welche Prof. Kirch in seinen Schriften gezeigt hatte, führte zu Hypothesen und Phantasien, welche von der böhm. wissenschaftlichen Kritik abgewiesen wurden. (Prof. Kalousek in der böhm. Musealzeitschrift 1882, 1883). Von anderen Perioden der böhm. Kirchen-G. behält besonders die böhm. Reformation, wie sie sich in der hussitischen und Brüder-Bewegung entwickelte, eine grosse Anziehungskraft.

Eine interessante Frage hat Prof. Dr. J. Kalousek in der Abhandlung: O historii kalicha (die G. des Laienkelches, 1881) beantwortet und damit einen alten, von einigen russischen Gelehrten erneuerten Streit entschieden. Kalousek widerlegt die Meinung, dass die Communion unter beiderlei Gestalten aus älterer Zeit, etwa aus der Periode der slav. Liturgie herrührt, weist die Embryologie dieses histor. Irrthumes nach und liefert den Beweis, dass die Communion sub utraque eine Neuerung aus Hus’ Zeit sei. Vom kath. Standpunkte wurde Hus’ Lehre beleuchtet durch eine ausführlichere Schrift des Dr. Lenz (1875), welcher neuestens auch über die Lehre des Petr Chelčický und der böhm. Brüder einige Abhandlungen publicirte; leider sind diese Schriften von einer streitbaren Polemik erfüllt, die den Verf. häufig auch zu unwissenschaftlichen Thaten verleitet und verführt.

Die älteren Geschicke der böhm. Brüder wurden vom Prof. J. Goll [189] zum Gegenstande eines eingehenden Studiums gewählt. In der böhm. Mus.-Z. (1883–87) wurde seine ausführliche Arbeit: Jednota bratrská v XV. století (Die Brüder-Unität im 15. Jh.) veröffentlicht, welcher schon im J. 1881 eine Abh. über Petr Chelčický und über seine Schriften vorangegangen war. Die schwersten und dunkelsten Fragen aus der ältesten Brüder-G. (von dem Einflusse der Waldenser, von der ursprünglichen Organisation der Unität etc.) werden da glücklich gelöst. Auch die Schilderung der Entwicklung und Verbreitung der Unität, welche trotz der häufigen Verfolgung allmählig gedieh, erhielt durch das eingehende und kritische Quellenstudium des Verf. viel neues Licht, so dass die einschlägigen Partien des grossen G.-Werkes Gindely’s hierdurch ausgiebig corrigirt und verändert werde. Was den Werth dieser Publication noch erhöht, ist die Art und Weise, wie der Autor seine hist. Auffassung klarlegt. Den einzelnen Partien seiner Schilderung folgt nämlich eine Reihe von Beilagen, in welchen der wichtigste Theil des Qn.-Materials veröffentlicht und kritisch geprüft wird, wodurch wir uns von der Gültigkeit der vorangehenden Resultate überzeugen können. Der deutschen G.-Forschung wurden diese kritischen Studien theilweise in den zwei Bänden der „Quellen und Untersuchungen zur G. der böhm. Brüder“ (1878–1882) zugänglich gemacht, indem die böhm. einschlägigen G.-Quellen ins Deutsche übersetzt sind.

Aus dem reichen, meistentheils noch ungedruckten Qn.-Materiale des Prager Capitelarchives schöpfte Dr. Kl. Borový den Stoff zu den Biographien der zwei Erzbischöfe nach der Wiederbesetzung des Prager erzb. Stuhles (1561): Anton Brus (recte Prus) von Müglitz (1874) und Martin Medek (1877). Beide Werke sind zugleich eine hist.-kritische Schilderung der relig. und socialen Verhältnisse in Böhmen in der Zeit, als die katholische Kirche im Lande wieder erstarkte. Viel umfangreicher ist die Biographie des Prager Erzbischofs und Cardinals Ernst Grafen von Harrach, welche Dr. F. Krásl verfasste (1886). Die Person des thätigen Cardinals verliert sich beinahe in der detaillirten Beschreibung der relig. und kirchl. Verhältnisse seiner Zeit. All das Bemühen der kath. Kirche seit dem J. 1620 um die Gegenreformation im Lande, obwohl es durch die Staatsgewalt mächtig unterstützt wurde, prallte durch mehr als anderthalb Jahrhunderte ohnmächtig an dem Widerstande der treuen Anhänger der alten evang. Kirche ab. Die Verfolgung, die zuletzt unter Karl VI. und Maria Theresia wieder strenger wurde, endigte mit dem Toleranzpatente K. Josef’s II., welches eine relig. Aufregung der Gemüther in Böhmen zur Folge hatte, die die G. unter dem Namen des „böhm. Deismus“ kennt. Den Verlauf dieser volksthümlichen religiösen [190] Bewegung beschreibt uns Prof. Dr. A. Rezek in dem Werke: Dějiny prostonárodního hnutí náboženského v Čechách od vydání tolerančního patentu až na naše časy (Prag 1887). Der erste Band enthalt als Eingang zu dem eigentlichen Gegenstande die Martyrologie der böhm. evang. Kirche in den JJ. 1620–1780, welche in einfacher, aber desto ergreifenderer Weise geschildert wird. Dieser einleitende Theil ist auf Grund eines umfangreichen, meistentheils gedruckten, aber in verschiedenen Monographien und Zeitungen zerstreuten Qn.-Materials verfasst worden. Im zweiten Bande verspricht der Verf. auf Grund vieler bisher unbenutzter Qn. die relig. Schwärmerei unter K. Josef II. und Leopold II. zu behandeln, im dritten Bande das neue Aufflammen derselben im J. 1848 und die endlichen Geschicke bis zum J. 1871.

Ein nicht minder dankbares Feld bietet sich der wissenschaftlichen Forschung in der heimischen Rechtsgeschichte. Drei Elemente begegneten sich in den böhm. Ländern, als mit der Ankunft der dt. Colonisten das deutsche Recht und mit der Machtvermehrung des geistlichen Standes im 12.–13. Jh. das röm.-canonische Recht eingepflanzt wurden. Den Ursprung, das allmählige Anwachsen, die wechselseitige Einwirkung dieser drei Elemente zu erforschen und zu erklären, ist die dankbare Aufgabe der böhm. Rechts-G., welche mit vielem Fleiss und Glück von einigen wissenschaftlich geschulten Rechtsgelehrten systematisch betrieben wird. Ihre Arbeiten beruhen auf den werthvollen und reichhaltigen Qn.-Publicationen, welche in Böhmen besonders Dr. H. Jireček lieferte (Codex juris bohemici, Svod zákonů slov., Sammlung der böhm. Landesordnungen, deren Reihe die verneuerte Landesordnung aus dem J. 1627 abschliesst etc.). Die Ausgabe der wichtigen Codification des Stadtrechtes, welche unter Redaction des Paul Chr. Koldín im 16. Jh. zu Stande kam, wurde von Jos. Jireček besorgt (1888). Grossartig projectirt ist die Qn.- Sammlung des Dr. Jos. Čelakovský: Codex municipalis regni Bohemiae, dessen erster Theil die Privilegien der Prager Städte enthält. Eine stattliche Reihe von wichtigen Rechtsbüchern (Kniha Rožmberská, Tovačovská, Drnovská) wurde von dem fleissigen mähr. Landesarchivar V. Brandl herausgegeben. Dr. H. Jireček besorgte die Herausgabe der berühmten neun Bücher Všehrd’s von dem Landrechte, von der Landtafel etc., eines durch Inhalt und Form klassischen Denkmales der böhm. Rechtswissenschaft aus dem 15.–16. Jh. Von den neuesten wissenschaftlichen Bearbeitungen heben wir das gediegene Werk des Dr. Jos. Hanel über die G. des dt. Rechtes in Böhmen (1875) hervor. Dr. Em. Ott lieferte die hochgeschätzten Beitrr. zur Receptions-G. des röm.-canon. Processes in den böhm. Ländern (1879). Dr. Jos. Čelakovský beleuchtete verschiedene Partien des Landrechtes [191] durch eine Reihe gediegener und gründlicher Abhandlungen. Die meisten Arbeiten dieser und anderer Rechtsgelehrten wurden in der böhm. Fachzeitschrift „Právník“ und in der böhm. Museal-Z. veröffentlicht.

Wir müssen noch einige Bemerkungen anschliessen über die Fortschritte der böhm. Literaturgeschichte. Nach der Ausscheidung der modernen Fälschungen der K. und Gr. Hs. aus der altböhm. Literatur verschwand auch die erdichtete Theorie von den zwei Strömungen, von denen die eine rein slavisch, die andere rein fremdländisch, westeuropäisch sein sollte, und es steht klar bewiesen, dass die altböhm. Literatur zum Bereiche der westlichen christl. Cultur gehört, die nach Böhmen durch Vermittlung der deutschen Literatur vordrang. Die altböhm. Poesie zum Beispiel, welche ihr Vorbild in den ritterlich-romantischen Epen der dt. adlichen Sänger vorfand, gelangte zu einer ungeahnten Stärke und Blüte. Um die lit.-hist. Durchforschung dieser altböhm. Denkmäler, deren Zahl durch neue Funde neuerlich ungemein sich vermehrt hat, hat (neben Patera, J. Trublář, Menčík) Prof. Dr. J. Gebauer die meisten Verdienste; von diesem ausgezeichneten Kenner der altböhm. Sprache und Literatur werden auch fleissige Vorbereitungen zu einer altböhm. Literatur-G. gemacht.

Die weitere Entwicklung der böhm. Literatur wurde mächtig beeinflusst durch die Reformation, durch die humanistischen Studien und durch das Aufblühen der neuen dt. romantischen Schule. Wichtige Monographien über diese Partien der böhm. Literatur-G. haben J. Trublář, J. Jireček, A. Rybička u. a. geliefert. Von V. Brandl rührt eine gelungene Lebensbeschreibung Josef Dobrovský’s her, des Begründers der Slavistik, dessen reelle wissenschaftliche Thätigkeit heutzutage in Böhmen wieder zu Ehren kommt.

Nach Šafařík’s berühmtem Werke über die slavischen Alterthümer wurde es auf lange Zeit stille auf diesem Gebiete. Erst aus der neuesten Zeit können wir ein bemerkenswerthes Werk erwähnen. Dr. Konst. Jireček’s G. des bulgarischen Volkes (1876), die auch in der dt. Bearbeitung volle Anerkennung fand. In Betreff der Slavistik muss man den bedeutenden Fortschritt verzeichnen, den der gelehrte Verf. dadurch gethan hat, dass er sich von den alten Theorien Šafařík’s über das Wesen und den Charakter der alten Slaven emancipirte.

Einzelne Partien der älteren slav. G. fanden einen fleissigen und tüchtigen Bearbeiter in dem Professor der Warschauer Universität Perwolf, von dem viele Abhandlungen in der böhm. Mus.-Z. und im A. für slav. Philologie veröffentlicht wurden. Von den neuesten [192] Publicationen verdient die Arbeit des Prof. Dr. J. Řežábek: Jiří II. poslední kníže Malé Rusi (1883) hervorgehoben zu werden. Es ist eine bemerkenswerthe Studie, welche eine der dunkelsten Partien der galiz. G. hell erleuchtet. Mit vielem Fleisse und kritischem Talente wird da der Beweis geliefert, dass Georg II., den man seit Karamzin für den letzten Fürsten des alten Romanovicer Geschlechtes hielt, und Boleslaus (Sohn des Trojden, eines Mazowischen Fürsten), der Erbe und Nachfolger der alten Dynastie wurde, eigentlich eine und dieselbe Person sind, indem Boleslaus mit dem orthodoxen Glauben den neuen in der griechischen Kirche beliebten Namen Georg annahm; die alte galizische Dynastie erlosch schon im J. 1322 mit dem Tode Leo’s II. Die Arbeit Řežábek’s erregte die Aufmerksamkeit der russischen Gelehrten, von denen Kunik sie ins Russische übersetzte und durch neue Belege den dargebrachten Beweis bekräftigte.

Viele und grosse Aufgaben erwarten noch die Geschichtsforschung in den böhm. Ländern, deren politische Berührungen mit den germanischen und romanischen Elementen in der Vergangenheit so mannigfaltig und lebendig waren und deren geistiges Leben besonders im 14.–17. Jahrh. so intensiv, reich und anregend war. Mit zweifachem Mangel kämpften bisher die heimischen Bemühungen: einerseits fehlte es an materieller Unterstützung, andererseits reichte die Zahl der geschulten Forscher doch nicht aus. In beiderlei Hinsicht erhoffen wir in baldiger Zukunft eine entscheidende Wendung. Durch Errichtung der böhm. Hochschule in Prag kann die wissenschaftliche Thätigkeit auch in der böhm. G.-Wissenschaft besser und systematischer organisirt werden. Viele Hoffnungen verspricht das an der philos. Facultät eröffnete histor. Seminar zu erfüllen, das unter der Leitung der Professoren J. Emler u. J. Goll steht. Durch günstige Erfolge der neubelebten histor. Studien wird dann wieder das seit den letzten Jahren schlummernde Interesse des adlichen und bürgerlichen Standes erwachen, so dass es auch an materieller Unterstützung der wissenschaftlichen Bestrebungen nicht fehlen wird. Die mächtigste Stütze aber können diese Bestrebungen in der zukünftigen selbständigen böhm. Ak. der Wissenschaften finden, deren Errichtung, aufgemuntert durch ein grossartiges Geschenk eines ungenannten Mäcenaten (200 000 fl.), der böhm. Landtag in den zwei letzten Sessionen beschlossen hat und deren kaiserliche Sanctionirung bereits erwartet wird. Mögen unsere weiteren Berichte über Fortschritte der böhmischen G.-Wissenschaft in dieser Zeitschrift diese unsere Hoffnung schon im Interesse der allgemeinen Geschichtsforschung bestätigen.

Kolin, April 1889.

Heinrich Vančura.     



[523]
Nachträge und Berichtigungen

zu den Berichten G. Monod’s über die geschichtl. Studien in Frankreich und H. Vančura’s über die neuere böhmische Geschichtsforschung (S. 160 ff.).

[523] Bei dem Artikel Herrn Vančura’s ist durch Versehen der Redaction die Vorbemerkung unterblieben, dass der Herr Berichterstatter sich nach Vereinbarung mit der Redaction auf einen Bericht über die czechische Forschung beschränkt hat. Dem entsprechend ist auch nach deutschem Sprachgebrauch im Titel „czechisch“ für „böhmisch“ einzusetzen. Ueber die deutsch-böhmische Forschung wird die Zeitschrift voraussichtlich sehr bald einen Artikel von anderer Seite bringen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. lt. Korrektur-Meldung ergänzt um: Bei dem Artikel Herrn Vančura’s ist durch Versehen der Redaction die Vorbemerkung unterblieben, dass der Herr Berichterstatter sich nach Vereinbarung mit der Redaction auf einen Bericht über die czechische Forschung beschränkt hat. Dem entsprechend ist auch nach deutschem Sprachgebrauch im Titel „czechisch“ für „böhmisch“ einzusetzen. Ueber die deutsch-böhmische Forschung wird die Zeitschrift voraussichtlich sehr bald einen Artikel von anderer Seite bringen.
  2. Vorlage: ausfürlichere