Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses. | |
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das Selbstvertrauen wieder erwachte. Er kam nicht wieder. Darob geriet der Missionar in eine große sittliche Entrüstung und schimpfte weidlich über die Nichtswürdigkeit dieses Menschen, der eine empfangene Wohltat damit vergelte, daß er die entliehenen Sachen nicht mehr zurückbringe. Ich brachte ihn zum Schweigen mit dem Sprichwort: Wer in einem Glaskasten sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
Einige Tage blieben wir allein. Dann öffnete sich eines Abends die Tür, herein trat, in Begleitung des Hausinspektors, ein junger Mann, den ich zuerst für einen Gehilfen des Gefängnisvorstandes hielt; es war aber ein Leidensgefährte, und zwar ein sächsischer Referendar, der in Karlsruhe Kunststudien trieb und wegen Sittlichkeitsdelikts verhaftet worden war. Er trat, nachdem der Inspektor hinausgegangen war, auf mich zu und stellte sich vor, indem er einen Namen nannte, den ich natürlich nicht verstand. Ich nahm an, daß er meinen Namen auch nicht verstand. Dann setzte er sich auf sein Bett und hing, zerstreut in einem Buche blätternd, seinen Gedanken nach, die offenbar nicht erfreulicher Art waren. Der Missionar versuchte einige Male, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, bekam aber nur einsilbige Antworten, so daß er’s schließlich aufgab und sich ins Bett legte. Bald gab er durch sonores Schnarchen zu erkennen, daß wir andern für ihn nicht mehr vorhanden waren.
Ich stand in der Dämmerung am Fenster. Es war ein wundervoller Juniabend. Ein Taubenpaar saß vor seinem Schlag und hielt halblaute Zwiesprache. Am Himmel flammten die Sterne auf, die letzten Geräusche des Tages verstummten. Ich stand und lauschte in mich hinein. Noch waren die Hoffnungen und Wünsche in meinem Herzen nicht erstorben, so finster es um mich herum geworden war.
Plötzlich begann jemand neben mir zu sprechen. Es war der Referendar. Die Dunkelheit und das Schweigen der Nacht lösten ihm die Zunge, er war unglücklich und suchte Teilnahme. Bald merkte ich, er wußte, wer ich war. Der Hausinspektor hatte es ihm gesagt. Er gestand offen, daß es ihm unangenehm gewesen sei, mit mir in
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/102&oldid=- (Version vom 31.7.2018)