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unbekannt: Die Frau

Auch ich habe erst in späteren Jahren, nach manchem Lebenskampfe gelernt, unausgesetzt über mich und Andere, über Alles in mir und um mich nachzudenken. Glück und Unglück muß der Mensch kennen gelernt haben, gelitten und gekämpft haben, bevor er jene Höhe erklimmt, wo er über die kleinlichen Gewöhnlichkeiten dieses Lebens mit der Ruhe des Selbstbewußtseins hinüberblickt und sich das Recht erwirbt, seinen eigenen Werth und den Anderer mit dem gerechten Stolz der Überlegenheit zu erkennen und geltend zu machen. Möge die Welt den Geist, der den meinen leitend, mir zur Seite stand, mich das Wesen vom Schein trennen, denken und erkennen lehrte, der, ihr Urtheil verachtend, ihr und ihrer schalen Zeit stolz seine Schätze hinwirft, das Auge abgewendet von ihrer Unempfindlichkeit für das Schöne und Echte, aufwärts gerichtet nach seiner Würde und dem Ideale, das ihm als Ziel in der Seele glüht, – erkennen und benützen.

Doch die, die es noch gibt, die mit hellen Geist sich und die Welt erfassen, majestätische Charaktere, berufen Großes zu leisten, gehen stumm an einander vorüber und erkennen sich höchstens an dem gleichen Druck der Hand, wie einst die ersten Christen, die ihren Glauben verläugnen und verbergen mußten.

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unbekannt: Die Frau. Carl Winiker, Brünn 1859, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Frau_anonym_1859.djvu/6&oldid=- (Version vom 21.11.2023)