Ich war selbst bei Madame Bertin, die in ihrem Schneideratelier empfängt wie eine Herzogin. Die hübschesten Mädchen mußten mir die neuesten Kleider vorführen. Merkwürdig, wie auch hier die Mode das Leichte, Weiche dem Schweren und Steifen mehr und mehr vorzieht. Man trägt sich auf der Straße wie unsere Großmütter sich geschämt haben würden, im Hause zu erscheinen. Ich wäre fast versucht gewesen, diese Mode nicht zu akzeptieren, wenn ich mir nicht vorgestellt hätte, wie entzückend diese schmiegsamen Negligée-Gewänder die zarte Gestalt meiner Delphine zur Geltung bringen, wie verlockend diese Mullfichus, diese Seidenschals sich um ihren weißen Nacken schmiegen werden. Auch bei Monsieur Bourbon, dem Schuhmacher der Dauphine, war ich und übergab ihm Ihren Probeschuh. Sie hätten seine Begeisterung, nicht über den Schuh, den er für mesquin erklärte, sondern über das Füßchen, für das er bestimmt war, sehen sollen. „Noch kleiner als das der Prinzessin Guéménée, und der Spann noch höher als der der Marschallin Mirefoix!“ sagte er einmal über das andere, „wir werden dies Füßchen mit Juwelen bedecken müssen,“ fügte er hinzu, und ich habe mich von ihm bestimmen lassen, auf seine zarten Kunstwerke all die bunten Steine zu streuen. Von Madame Martin habe ich ein Sèvrestöpfchen Rouge des Indes besorgt, von Beaulard, dessen Coiffüren die des alten Beloux
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/058&oldid=- (Version vom 31.7.2018)