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wieder mit Phantomen zu füllen, auf Hexenmeister und Zaubersprüche zu vertrauen, wie im dunkelsten Mittelalter? Sie sind müde, teuerste Delphine, von schlaflosen Nächten, erschöpft von selbstquälerischen Gedanken; sonst würden Sie nicht an all der Erkenntnis irre werden, die Sie vor kurzem noch reich und stark gemacht hat. Sie arbeiten an dem gräßlichen Werk der Selbstzerstörung, und das alles um eines Geschöpfes willen, das schlimmer ist als ein Tier. Noch einmal flehe ich Sie an: bringen Sie diesem Kinde, das kein Lebensrecht besitzt und in einer Anstalt für Unheilbare am besten untergebracht wäre, nicht sich selbst zum Opfer. Ich weiß, Sie antworten wie so oft: „Was habe ich dann noch vom Leben?“ Das Leben, Delphine! Als Ihr Freund, der seinen kühnsten Traum, Ihr Führer in eine neue Welt sein zu dürfen, begraben hat, spreche ich zu Ihnen.

Sie klagen um die entgötterte Welt. Und doch gibt es eine Macht, die alle Götter Himmels und der Erde zu ersetzen vermag. Sie sieht tiefer in die Herzen der Menschen, als sie selber sehen, sie gewährt sichereren Schutz, als je ein Gott hat gewähren können, und verleiht stärkere Kraft als der Glaube, der Berge versetzte. Weil ich mich ihr ergab, von dem Augenblick an, da Delphine Laval in mein Leben trat, habe ich in Ihrem Innern lesen können, wie in einem aufgeschlagenen


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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/239&oldid=- (Version vom 31.7.2018)