wird, was zur höchsten Blüte sich entfaltete: die Kunst der Liebe. Und Sie, geboren zu ihrer Hüterin, wollen ihr jetzt schon treulos sein? Heißt das nicht, den Barbaren die Zukunft überlassen? Sollten nicht gerade wir, die Kinder einer sterbenden Epoche, noch jede Glücksmöglichkeit erschöpfen, damit sie im rotglühenden Glanze des Abendrots untergeht, und nicht unter grauem Himmel und kühlen Regentränen?
O, es ist bitter für den Grafen Guibert, als Ersatz für die Liebe über Liebe philosophieren zu müssen! Ich würde ganz darauf verzichten, ich würde vor allem Ihren Wunsch, Ihnen nicht von Gefühlen, sondern von Literatur und Politik zu erzählen, unerfüllt lassen, wenn nicht Ihre leuchtenden Augen, Ihr roter Mund, Ihre kleinen weichen Hände, Ihre reizende mit holder Koketterie gekleidete Gestalt mich überzeugt hätten, daß Sie mit den politisierenden Damen des Palais-Royal nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Einer Delphine Montjoie werden diese Dinge nicht zum Lebensinhalt; sie dienen ihr nur, um ihren Geist zu entfalten, ihre Empfindung zu vertiefen, wie Blumen und Bänder, Seidengewebe und Edelsteine ihr dienen, um ihren Reiz zu erhöhen.
In diesem Sinne ergebe ich mich sogar in das Schicksal eines bloßen Chroniqueurs.
Von Neckers Rechenschaftsbericht, den schon alle Welt in Händen hat, brauche ich Ihnen kaum
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/284&oldid=- (Version vom 22.6.2020)