Im Namen des Königs hielt der Großsiegelbewahrer, aufgeplustert wie ein Truthahn und feuerrot wie er, eine donnernde Philippika, zwischen jedem Satz eine Pause machend, um ihre Wirkung zu beobachten.
„Der König allein hat die souveräne Gewalt im Reich –“, ein paar Räte zuckten merklich die Achseln. „Gott selbst hat ihn eingesetzt; nur Gott ist er verantwortlich –“, auf allen Gesichtern stand ein spöttisches Lächeln. „Die gesetzgebende Gewalt ruht allein beim König –“, ein lebhaftes „Oho“ machte sich hörbar.
Dann wurde das Anleiheedikt – es handelt sich um die hübsche Summe von vierhundert Millionen! – verlesen, und die Schleusen der Beredsamkeit waren geöffnet.
Welche Wasserfälle sahen wir Ein Herr Duval d'Esprèmenil zeichnete sich besonders aus; den ganzen Katechismus der Enzyklopädisten betete er herunter: „Menschenrechte“ – „Volkssouveränität“, – „Gemeinwohl“, –
„Gesamtwille“, – noch im Traum dröhnte mir das alles im Ohr. Von der Anleihe wollte keiner etwas wissen, ungefähr wie ein dressierter Hund, dem zwar nach dem fetten Bissen das Wasser im Munde zusammenläuft, der aber schielend den Kopf davon abwendet, wenn man ihm sagt: „Pfui – das kommt vom König!“
Trotz des Widerspruchs wurde die Registrierung des Edikts befohlen. Ein unwilliges Gemurmel
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/444&oldid=- (Version vom 31.7.2018)