Toni erröthete tief. „Mama,“ sagte sie im Kleinkinderton, „hör mal, Richard! Den Engel da!“
„Hast Du sie gemalt?“ rief der Bräutigam mit herzlichem Lachen. Er verstummte aber schnell, als er die zwei Gesichter sah, beugte den Kopf über die Malereien und murmelte etwas, das nach „niedlich“ klang.
„Toni hat nur sechs Stunden gehabt. Sie konnte es sofort,“ sagte Mama herausfordernd.
„Konnte? Was?“ lächelte Richard.
„Na, Porzellanmalen, wie Sie sehen, lieber Schwiegersohn.“
„So schnell kann man dergleichen wohl nicht lernen,“ versuchte der Gelehrte einzuwenden.
„O, wenn man so viel Talent hat wie meine Toni – all’ unsre Bekannten in Karlsruhe waren außer sich. Nach sechs Stunden!“
„Wenn Richard sie nicht leiden mag, kann ich sie ja nur wieder wegpacken, Mama.“ Das Mädchen sah so enttäuscht und gekränkt aus, als habe es die größte Ungerechtigkeit erduldet. Daher bestand der Bräutigam darauf, die kleinen Mißgeburten auf dem Tisch zu behalten.
„Es hat so etwas Behagliches in dem dummen Hotelzimmer,“ meinte er, „weißt Du auch, Schatz, daß wir uns immer nur in so dummen Hotelzimmern gesehen haben? Nun, das wird doch jetzt endlich anders.“
Ilse Frapan: Flügel auf!. Paetel, Berlin 1895, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Fl%C3%BCgel_auf_Frapan_Ilse.djvu/140&oldid=- (Version vom 31.7.2018)