klettern.“ Annita ergriff ihre nachlässig dargebotene Hand und drückte sie mit Inbrunst. Alles, was sie noch ein paar Augenblicke verhindern konnte, Adolf ins Gesicht zu sehen, war lieb und willkommen. Sie hatte sich in den vergangenen Monaten so ängstlich mit ihm beschäftigt, daß sein Rücken in dem feinen schwarzen Gesellschaftsanzug sie jetzt ernstlich ernüchterte und enttäuschte. Es dünkte sie, daß er stattlicher, größer, fürchterlicher sein sollte. Es war aber ein ganz gewöhnlicher Rücken, viereckig, mit einem kurzen rothen Hals darüber. Auch der Hinterkopf hatte nichts Übernatürliches, grauenhaft Leidenschaftliches. Er war rund und mit kurzem dunkelblonden Haar bewachsen. Aber jetzt – hah! jetzt wendete er sich um, jetzt erblickte sie sein Antlitz, das ihr so oft in bösen Träumen nah gewesen, jetzt trafen sie seine Augen, die sie an jenem Augustabend so in Angst versetzt hatten! Aber nein, – wie sonderbar! es war ja so gar nichts daran zu sehen! eine dicke, etwas breite Nase, verschlafene Augen unter dichten, inmitten der Stirn zusammenstoßenden Brauen, ein stark entwickelter Schnurrbart und der Ansatz zum Backenbart auf den etwas knochig gewordenen Wangen, – ein eher komisches als erschreckendes Gesicht. Annita fühlte eine kühle spöttische Enttäuschung über sich hin wallen. Das war der Mühe werth gewesen! Um den hatte man sich ängstigen müssen; wirklich man ist doch zu dumm, so als junges
Ilse Frapan: Flügel auf!. Paetel, Berlin 1895, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Fl%C3%BCgel_auf_Frapan_Ilse.djvu/239&oldid=- (Version vom 31.7.2018)