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Noch prangt der Glieder Marmorpracht,
Die Brüste scheinen durch die Nacht

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     Wie weiße Todtenrosen.

Doch Alles wär’ des Moders Raub,
Würd’ nicht mit diesem schönen Staub
     Manch warmes Leben kosen.

Denn wer ihr in das Auge sieht,

25
Den bannt ihr süßes Zauberlied,

     Der kommt nicht mehr von hinnen.
Ihr Lächeln flammt ihm durch das Blut,
Er brennt in wilder Wahnsinnsgluth,
     Den todten Leib zu minnen.

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O sterbensbange Liebeslust!

Wie pressest du des Jünglings Brust
     Im letzten Kampf zusammen!
Schön Heite ist erbarmungslos,
Sie saugt in ihren kühlen Schooß

35
     All seines Lebens Flammen.


Der Mond steigt auf, das Roth verglimmt,
Ein formlos Nebelbild verschwimmt
     Im Tanne trüb’ und trüber.
Der bleiche Buhle regt sich nicht.

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Wehlächelnd starrt sein Angesicht

     Zum öden Wald hinüber.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hertz: Gedichte. Hoffman und Campe, Hamburg 1859, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Gedichte_(Hertz_W)_156.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)