Sie schien mir wie von der Nachtluft aus irgend einer fremden Stadt hergeweht auf die Potsdamer Straße. Vielleicht hatte sie mich schon längst beobachtet und hatte mich bei den gefangenen Vögeln, dann bei den gefangenen Blumen und jetzt bei dem gefangenen Äffchen stehen sehen.
„O, mein Herr,“ sagte sie, „darf ich Sie um einen Dienst ersuchen?“ Und ihre Stimme war wehklagend wie die Stimme einer Gefangenen. „Würden Sie mir den Gefallen tun, jene Frau dort um die Ecke anzureden und zu fragen, warum sie immer Nacht für Nacht dort steht, und wer sie dort hingestellt hat zum Aufpassen?“
„Gern,“ sagte ich. „Ich bin selbst neugierig, es zu wissen.“
„Ich werde Sie hier erwarten,“ sagte die erregte Dame. Ihre Brust hob und senkte sich, und ihr zitternder Atem kam wie ein feiner Nebel aus ihrem Schleier und verflüchtigte sich in der eisigen Nachtluft.
Dieser feine graue Hauch auf den Lippen der sichtbar Geängstigten, trieb mich zur Eile an.
Ich ging und zwang meine Schritte, daß sie möglichst gleichgültig schienen. Ich bog um
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/186&oldid=- (Version vom 31.7.2018)