Ich hatte das Taschentuch zu mir gesteckt und mir vorgenommen, es der jungen Dame selbst auszuhändigen, wenn ich sie einmal wieder sehen sollte.
Gleich am nächsten Nachmittag, ungefähr um die selbe Stunde, traf ich die Kurzsichtige wieder. Diesmal war sie ohne ihre Hunde.
Sie stand an dem Schaufenster eines Photographen und betrachtete durch ihr Lorgnon die Bilder. Der Kasten befand sich dicht an einer Straßenecke.
Ich war auf der anderen Seite der Straße und mußte einige Automobile vorüberfahren lassen, ehe ich den Fahrdamm überschreiten konnte. Als ich dann durch das Wagengedränge hinüberkam, sah ich, wie die Dame, immer noch mit dem Lorgnon vor den Augen, um die Ecke der Straße ging. Dort mußte sich ein zweiter Photographenkasten befinden, denn sie sah mit voller Aufmerksamkeit gegen das Haus.
Ich zögerte einen Augenblick, ihr sofort zu folgen, und stellte mich vor die Bilder an den Kasten, vor dem sie vorher gestanden. Mein Herz klopfte ein wenig, als ich überlegte, mit welchen Worten ich ihr das Taschentuch überreichen sollte hier an der Straßenecke.
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/259&oldid=- (Version vom 31.7.2018)