Was ist da nur so Urkomisches an dem Schaukasten des Photographen zu sehen, fragte ich mich.
Ich trat nun um die Ecke des Hauses. Da war gar kein Photographenkasten an der Wand. Da war auch kein Plakat, keine Inschrift. Da war nur eine leere Mauer, eine einfach gekalkte Wand, an deren Mörtel für mich nichts zu sehen war. Aber vor der Wand stand jene Dame, die ich suchte, mit ihrem Lorgnon vor den Augen und sah so hin und her an der Wand, ein wenig hinauf, ein wenig zur Seite, ebenso wie sie es vorher vor dem Schaufenster getan hatte.
In einigem Abstand hinter ihr waren die Leute stehen geblieben, vorübergehende Herren und Damen, Dienstboten und Arbeiter, die sich mit Gesten und Blicken stumme Zeichen machten.
Ich begriff nun: die Kurzsichtige mußte tief in Gedanken sein, und weil sie an der einen Seite der Ecke vorher Bilder betrachtet hatte, schien sie auch hier Bilder erwartet zu haben, und schien im Geist auch solche zu sehen.
Das Ganze spielte nur wenige Sekunden. Dann schien die Dame sich bewußt zu werden, daß die Wand leer war.
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/261&oldid=- (Version vom 31.7.2018)