Seite:De Heimatlos (Spyri) 062.jpg

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er aber sah, daß Rico nicht antworten konnte, deutete er auf die offene Tür und machte dem Rico verständlich, daß er dort spielen solle.

Rico näherte sich der Tür, sie führte gleich in ein Zimmer hinein. Da stand ein Bettchen darin und daneben saß eine Frau und machte etwas aus roten Schnüren. Rico stellte sich vor die Schwelle und fing an sein Lied zu spielen und zu singen:

„Ihr Schäflein hinunter.“

Als er fertig war, erhob sich aus dem kleinen Bett ein bleicher Kopf von einem Knaben, der rief heraus:

„Spiel noch einmal!“

Rico spielte eine andere Melodie.

„Spiel noch einmal“, tönte es wieder.

So ging es hintereinander fünf- bis sechsmal und immer wieder ertönte aus dem Bett: „Spiel noch einmal!“

Nun wußte Rico nichts mehr; er nahm seine Geige herunter und wollte fortgehen. Da fing der Kleine an zu schreien: „Bleib da, spiel wieder, spiel noch einmal!“ Und die Frau war aufgestanden und kam zu Rico her. Sie gab ihm etwas in die Hand, und Rico wußte erst nicht, was sie wollte; aber es kam ihm wieder in den Sinn, daß Stineli gesagt hatte: wenn er an einer Tür geige, so gäben ihm die Leute etwas. Dann fragte die Frau freundlich, woher er komme und wohin er gehe? Rico konnte nicht antworten. Sie fragte, ob er mit seinen Eltern da sei? da nickte er Nein; ob er allein sei? er nickte Ja; wohin er jetzt gehen wolle so am Abend? Rico schüttelte unsicher den Kopf. Da kam die Frau ein Mitleid an mit dem kleinen Fremden und sie rief den Burschen herbei und befahl ihm, er solle mit dem Knaben nach dem Wirtshaus

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_062.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)