Neugierde verwandelte. Die uns zugestandene Stunde war längst verstrichen, als heftige Rufe vom Ufer her uns zur Rückkehr mahnten. Die ganze Familie war dort versammelt: unsere Mütter, die Tante, das schadenfroh lächelnde Prinzeßchen, —– und wir wurden mit Vorwürfen überschüttet, kaum daß wir das Boot verlassen hatten.
„Mach dir nichts draus,“ flüsterte Hellmut und wandte sich mit eleganter Verbeugung meiner Tante zu. „Alix ist unschuldig, Frau Baronin,“ sagte er lächelnd, „sie wollte nicht ohne den Diener fahren und mahnte dann unausgesetzt zur Rückkehr.“ Mit einem raschen dankbaren Blick lohnte ich Hellmuts Ritterlichkeit, und mit einem herzlichen „Aufwiedersehn“ schieden wir.
Auf dem Wege heimwärts konnte die Tante es nicht unterlassen, ihrer Befriedigung über den „passenden Verkehr“, den ich nun endlich gefunden hätte, und ihrer Hoffnung Ausdruck zu geben, daß er mich hindern würde, weiter „mit den Dorfbuben herumzuschlampen“. Das empörte mich, und ich nahm mir vor, ihre Hoffnung auf das gründlichste zu täuschen. Schon am nächsten Tag lief ich in aller Frühe mit dem Sepp in die Wälder und ließ mich nur grade zu den Mahlzeiten sehen. Aber ganz so wie ehemals wurde es trotzdem nicht mehr. Wir fuhren oft nach Partenkirchen hinauf, wo die Prinzessin eine Villa besaß, und sie kam häufig ins Rosenhaus. Vergebens hatte ich versucht, meine alten Freundschaften mit meiner neuen in Einklang zu bringen; Hellmut kehrte dem Sepp und seinen Kameraden gegenüber zu sehr den Herren heraus, so
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/057&oldid=- (Version vom 31.7.2018)