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Drittes Kapitel


Wir saßen um den runden Mahagonitisch beim Nachmittagskaffee; von der Hängelampe mit dem grünen Schirm fiel ein warmes Licht auf den zierlich gedeckten Tisch mit seinen Kristalltellern und Sahnennäpfchen und seinen alten, weißen, wappengeschmückten Porzellantassen; die dickbauchige silberne Kaffeekanne blitzte, und der große Napfkuchen duftete sonntäglich. Mit lustigem Prasseln übertönten die brennenden Holzscheite im Kamin die grämliche Herbststimme des Novemberregens draußen.

„Doktor Hugo Meyer,“ meldete der Diener und öffnete die Tür vor dem Erwarteten. Mein Vater stand auf. „Dein Erziehungsapparat,“ flüsterte er mir lächelnd zu. Ich war wenig neugierig. Sie waren bisher einander alle ähnlich gewesen: grauhaarige Männer mit krummen Rücken und schmutzigen Fingernägeln, ältliche, bebrillte Fräuleins mit blutleeren Lippen – wirklich: nur gleichmäßig funktionierende „Erziehungsapparate“, aber keine Erzieher.

Pflichtschuldigst erhob ich mich, als Papa mich dem neuen Lehrer vorstellte, den er nach vielem Suchen für mich gefunden hatte. „Hier ist unsere Alix, Herr Doktor! Ein großes Mädel, nicht wahr? Sie werden sich

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/086&oldid=- (Version vom 31.7.2018)