„und jeder Federfuchser sich erlauben kann, dich herunterzureißen?!“ Als der große Abend hereinbrach, flüsterte man sich meinen Namen nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu. Der Beifall aber, der das Theater durchbrauste, klang wie eine Fanfare bis ins Innerste meiner Seele, und alte Kinderträume wachten auf, und junger Ehrgeiz breitete seine Flügel aus, um mich weit in die Zukunft zu tragen, – dahin, wo der Ruhm auf ehernen Stühlen thront und immergrüner Lorbeer im Glanze der nie untergehenden Sonne eichenstark gen Himmel wächst.
Seitdem hatte ich keine Ruhe mehr. Oft trieb michs des Nachts aus dem Bett an den Schreibtisch. Mit Lisbeth Karstens verband mich eine immer innigere Freundschaft. Sie war meine Vertraute, eine geduldige, leicht begeisterte, fast immer kritiklose Zuhörerin meiner Dichtungen. Im Theater, das ich fast täglich besuchte, denn in der Loge des Intendanten war Platz für mich, sobald meine Eltern mich nicht begleiteten, fand ich immer neue Anregung, der Künstlerkreis im Landsbergschen Haus, der für nichts Sinn hatte als für das Theater, fachte die Glut meines Innern zur Fieberhitze an. Noch waren es Nebelgestalten, die ich sah und nicht zu fassen vermochte. Sie nahmen festere Formen an, wenn der alte Wagnersänger Hill am Flügel stand und seine machtvolle Stimme den Raum erfüllte; wenn Alois Schmitt – einer der künstlerischsten Menschen, die ich kannte – am Dirigentenpult saß und sein geschultes Orchester die Fidelio-Ouvertüre intonierte; und sie wurden mir sichtbar, wie Geistererscheinungen, wenn ich einsam durch den Wald ritt und droben auf dem Götterhügel
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/264&oldid=- (Version vom 22.6.2020)