„Machen Sie mir doch nichts weiß,“ rief sie, „ich hab doch meine Augen im Kopf, – und wette zehn gegen eins: das Rosenhaus ist bewohnt.“
„Aber wahr und wahrhaftig, Durchlaucht, die Frau Baronin sind noch nicht hier!“ greinte die Kathrin. Ein helles Gelächter war die Antwort.
„Da könnten Sie am Ende recht haben – aber in der ganzen Welt gibt es nur einen so schwarzen Lockenkopf, wie der Alix ihrer, und den sah ich vom Ufer drüben. Gespenster sind nicht so hübsch.“
Hellmut wars! Ich lief hinaus und streckte ihm beide Hände entgegen. Die paar Jahre seit unserem letzten Zusammensein waren wie ausgewischt, und erst als ich sah, daß ein hochgewachsener Mann mit gebräuntem Gesicht und keckem Schnurrbärtchen über den vollen Lippen vor mir stand, errötete ich unwillkürlich.
„Wollen – Sie nicht näher treten!“ sagte ich zögernd.
„Aber Alix – ‚Sie!‘ Wir sind doch alte Freunde,“ damit faßte er meine Hand mit kräftigem Druck und ging mit mir an den eben verlassenen Frühstückstisch, während Kathrin uns ganz blaß und geistesabwesend nachstarrte.
Das Ungewöhnliche der Situation machte uns verlegen. Schweigend holte ich eine Tasse aus dem Schrank und goß ihm Tee ein, während ich fühlte, wie sein Blick auf mir ruhte.
„Wie schön bist du geworden!“ – flüsterte er wie zu sich selbst. In dem Augenblick trat die Kathrin herein und rumorte mit eifriger Geschäftigkeit im Zimmer. Das zwang uns zur Konversation, die, zuerst steif und gezwungen, allmählich immer natürlicher wurde. Nach
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/270&oldid=- (Version vom 31.7.2018)