mit Steinen nach uns werfen,“ entgegnete ich laut und drückte meiner Stute die Peitsche in die Flanke, so daß sie gehorsam in langen Galopp verfiel. Hellmut aber blieb mir dicht zur Seite, griff mit der Rechten kräftig in meine Zügel und sagte, während seine hellen Augen mich übermütig anblitzten: „Wirst du mir nicht davongehen, du Süße, Wilde!“ Mein Groll war verflogen, – daß ich mich ihm, dem Starken, unterwerfen durfte, – welch tiefe Seligkeit war das!
Einmal waren wir nach Rabensteinfeld hinüber gerudert, dem stillen Witwensitz der alten Großherzogin. Mit dem Dampfschiff war uns eine große Gesellschaft vorausgefahren, lauter ältere und gesetzte Angehörige, die zuweilen die Verpflichtung fühlten, uns Jugend zu beschützen. Ich hielt das nie lange aus und war stets die erste, die Mittel und Wege fand, aus ihrem Gesichtskreis zu verschwinden. Hellmut benahm sich korrekter und wollte die Form nicht verletzen. Auch jetzt stand ich mit einem lachenden: „Wer kein Philister ist, folgt mir,“ vom Teetisch auf und ging hinunter an das Seeufer. Ein paar junge Herren kamen mir nach, und empört über Hellmuts Eigensinn, kokettierte ich mit ihnen in erzwungner Lustigkeit.
Als wir in der Abenddämmerung zu Fuß heimkehrten, gesellte er sich endlich wieder zu mir. Eine tiefe Falte grub sich zwischen seine Brauen, die seinem sonst so guten Gesicht einen bösen Ausdruck verlieh. „Das darfst du mir nicht wieder antun – hörst du,“ zischte er mich an und eisern umklammerten seine Finger mein Handgelenk. „Verzeih mir –,“ flüsterte ich, „aber warum hast du mich allein gelassen?“ – „Weißt du nicht, daß ich alles
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/282&oldid=- (Version vom 31.7.2018)