finde ich fad. Aber holen tu ich sie mir bei allernächster Gelegenheit für die langen sechs Wochen, die Du sie mir schuldig bliebst. Hüte Dich beizeiten, daß Du nicht daran erstickst …“
Ich konnte nicht schlafen. Es lag wie ein eiserner Reifen um meine Stirn. „Der Weg zur Ehe geht durch die Kirche“ pflegte Mama zu sagen, – aber stand nicht ein goldener Götze am Altar, statt des Priesters?
Wir sahen uns oft, aber niemals allein. Eine zehrende Sehnsucht durchwühlte mich wie eine Krankheit. Jeder Händedruck schien mir die Haut zu versengen. Wir konnten den Karneval nicht erwarten, der zu heimlichen Begegnungen tausend Gelegenheiten bot. Ein Ball bei der Großherzogin-Mutter eröffnete ihn endlich. Sie hatte es allen Warnungen zum Trotz durchgesetzt, daß er in ihrem Palais stattfand, dessen Tanzsaal erst vor jedem Fest von der Baupolizei untersucht werden mußte. Diesmal, so erzählte man sich, habe sie schon recht bedenklich den Kopf geschüttelt. Als wir kamen, fiel mein erster Blick auf Hellmut, der mit zusammengezognen Brauen, blaß und finster, allein in einer Fensternische stand. Ewig dauerte es, bis ich all die Verbeugungen und Begrüßungen und stereotypen Phrasen erledigt hatte und meine Hand in der seinen ruhte.
„Ich habe Nachricht von Mama,“ preßte er mühsam hervor, „Tante Brigitte hat rundweg abgelehnt. Für dumme Streiche hätte sie kein Geld!“
Mir wankten die Kniee. Da ging das alte frohe Leuchten über seine Züge, gepaart mit einem neuen Ausdruck starker Energie: „Sei nicht furchtsam, Liebling; du weißt:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/295&oldid=- (Version vom 31.7.2018)