niemand anders hören wird –“. Graf Göhrens Stimme nahm einen drohenden Klang an, die Situation wurde kritisch. Mir stieg das Blut zu Kopf, – mit welchem Recht verfügte dieser Mann über mich?! Da sah der Chenille-Graf mich mit seinem bezauberndsten Lächeln und einem kecken Blinzeln seiner kleinen stechenden Augen an: „Ich beuge mich selbstverständlich, wie immer, dem Willen der Dame“, – und herausfordernd griffen seine schmalen gebräunten Finger in die Seiten der Gitarre. „Sie brauchen wirklich nicht um mein Seelenheil besorgt zu sein; Graf Göhren,“ spottete ich, „wenn mein Lied Sie chokiert, steht es Ihnen frei, nicht zuzuhören!“ Mit kurzer Verbeugung reichte er mir das Papier. Es hatte zu dämmern angefangen, und unsere Gefährten strömten von allen Seiten zum gewohnten Platz. Eine Bowle, ein paar Torten, das Ergebnis einer verlorenen Wette, wurden von der Strandkonditorei herunter getragen, – „und nun kommt das Beste!“ rief der Chenille-Graf, „unser künftiges Bundeslied:“
„Stoßt an mit mir! Füllt wieder die Pokale,
Es schäumt der Wein, schäumt wie des Lebens Lust;
Ein heitrer Sinn ziemt diesem Göttermahle.
Im Fieber schlägt das Herz uns in der Brust,
Laßt uns, damit die Sorgen uns versinken,
Trinken!“
Die Herren im Kreise wiederholten den Refrain, die Damen schwiegen.
„Lind ist die Nacht, es duften süß die Rosen,
Heiß ist der Mund, der sich auf deinen preßt;
Noch ist es Zeit, zu lieben und zu kosen,
Noch sei ein jeder Augenblick ein Fest.
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/323&oldid=- (Version vom 31.7.2018)