und politischer Klatsch stand im übrigen im Mittelpunkt der Unterhaltung, und dem Ärger und der Verstimmung gab man, wie gewöhnlich, wenn man unter sich war, den kräftigsten Ausdruck. Des armen kranken Kronprinzen wurde kaum mit einem Wort des Mitleids gedacht, die Empörung über den Einfluß der Kronprinzessin, über die von ihr eingefädelte Battenberg-Affäre, deren Schlußeffekt der Sturz Bismarcks hätte sein sollen, über die ganze allmählich zu Macht und Ansehen gelangende Kronprinzenpartei, die aus Juden und Judengenossen zusammen gesetzt sei, war viel zu groß.
Die von Bismarck kopulierte unnatürliche Ehe zwischen dem Nationalliberalismus und den Konservativen wurde hier, wo man sich keinerlei Zwang aufzuerlegen brauchte, drastisch genug beleuchtet.
„Hab ichs nicht immer gesagt,“ rief bei einer solchen Unterhaltung eines der ältesten Mitglieder des Herrenhauses, der Typus eines echten Feudalherrn vom guten Schlag, „daß wir uns nicht stärker blamieren konnten, als durch diese Liierung mit den Industrierittern. Nichts, gar nichts Gemeinsames haben wir mit den Kerlen. Und ’ne Ehe gibts, wie die der Bienenkönigin, die ihre werten Gatten töten läßt, wenn sie ihre Schuldigkeit getan haben. Ist irgend einer unter uns so dämlich, uns für – die Königin zu halten?!“
„Na, hören Sie mal, lieber Graf, Sie werden doch nicht behaupten wollen –“ unterbrach ihn mein Onkel.
„Gewiß behaupte ich –,“ polterte der alte Herr „laßt mal erst das Gesindel hoffähig werden – ein ‚von‘ und ein ‚Baron‘ ist heut schon eine Spielerei für den, ders Geld hat –, dann wirds bei uns wie in
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/347&oldid=- (Version vom 31.7.2018)