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Und hat es kein Recht auf ein eigenes Leben? – Der Mann! Ich dachte derer, die mir im letzten Winter gehuldigt hatten, – gute Tänzer, lustige Kurmacher, zu einem flüchtigen Flirt wie geschaffen – aber an sie gekettet, ihnen unterworfen sein – ein ganzes Leben lang – entsetzlich! Plötzlich aber fühlte ich mich wie eingehüllt von einem Feuerstrom, so daß im ersten Schreck das Herz mir stockte: ein Kind! ein Kind! – das war des Lebens Zweck und Inhalt. Ein Kind wollt ich haben, gleichgültig von wem, ein lebendiges Teil meiner Selbst, einen Sohn, – das Geschöpf meines Körpers und meines Geistes –, der meine Träume erfüllen, der werden sollte, was ich zu werden vergebens hoffte! Was galt mir der Mann: mochte er sein, was er wollte, – nur den Vater meines Sohnes brauchte ich!

Und als wir am nächsten Abend wieder um den runden Tisch zusammen saßen, sagte ich: „Du sollst dich nicht weiter um mich grämen, Papachen, – paß auf, über kurz oder lang hast du einen Schwiegersohn und bist die böse Tochter los!“ Worauf ich lachend einen zärtlichen Kuß bekam. Mama nahm keine Notiz von meiner Bemerkung; erst am folgenden Tag kam sie darauf zurück. „Ich habe dir niemals zur Ehe zugeredet,“ sagte sie, „und hüte mich auch jetzt davor. Das Glück, das ein Mädchen von ihr erwartet, findet sie nie.“ – „Ich will auch kein Glück – eine Lebensaufgabe will ich – ein Kind,“ stieß ich widerwillig hervor, denn mich meiner Mutter anzuvertrauen, kostete mir die größte Überwindung. „Ein Kind?!“ wiederholte sie, „um dich vollends mit Sorgen zu beladen?!“

Sie hatte mich offenbar nie so wenig verstanden wie heute.

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/377&oldid=- (Version vom 31.7.2018)