wenn das erste Vierteljahrhundert des Lebens sich seinem Ende zu neigt; und tut mans trotzdem, so sind es eben – schlechte Träume. Im Kamin prasselte das Feuer, und wenn ich aufsah, blickte mir aus dem Spiegel ein Gesicht entgegen, das das einer Toten hätte sein können, wenn nicht die Augen von verhaltenen Tränen geschimmert und die Lippen wie eine klaffende Wunde blutrot geleuchtet hätten. Ein Kindergesicht wars nie, – bin ich denn überhaupt ein Kind gewesen? Ein glückliches Kind? Es muß sehr lange her sein, denn ich besinne mich nicht darauf. Ich mag auch nicht die Tafeln der Erinnerung aufdecken. Häßliche Bilder zeigen sie. Freilich meist golden umrahmt, auf Elfenbein gemalt in schillernden Farben, aber sieh dir den Höllenspuk nur genauer an: war nicht das Schicksal ein wahnwitziger Maler, daß es so kostbares Material an solchen Schund verwandte?
Was hat denn gehalten von alledem? Die Liebe etwa? Armes Menschenkind! Sie ging an dir vorüber und du sahst nur so viel von ihr, um die Sehnsucht darnach, die fiebernde, heiße, ewig zu spüren! Und der Glanz? Wie schnell sah das allzu scharfe Auge, daß er nichts war als Flittergold, – Raketen, die prasseln und strahlen; wenn sie verglimmt sind, ist es viel dunkler noch als zuvor! – –
Ich habe die Wissenschaft gepflegt, wie eine verbotene Liebschaft, – die bleibt mir. Ich habe die Kunst geliebt, schüchtern nur und von ferne, um die Hehre nicht mit meiner Pfuscherei zu besudeln, – die bleibt mir. Das mag jenen Luxustieren unter den Menschen genügen, die vom Leben nichts wollen als Genuß, – jenen, die
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/381&oldid=- (Version vom 31.7.2018)