Erinnerungen. In leisen Melodien raschelte die Seide: „O la marquise Pompadour – Elle connait l’amour –“. Durch das Mieder, das sich eng um meinen Körper schmiegte, spürte ich den Arm, der mich einst so zärtlich an sich gezogen hatte.
„Hellmut!“ stöhnte ich leise und brach in Tränen aus. Der Felsen, den ich vor die Grabkammer meines Innern gewälzt hatte, war zersprengt; und wo ich nur Totes wähnte, stürzte wild wie ein Gießbach das Leben hervor.
„Du weinst?!“ Mein Vater stand vor mir. „Es ist nichts – Papachen – nichts!“ versuchte ich ihn zu beruhigen und trocknete hastig Augen und Wangen. Er lächelte liebevoll: „Sei nur ganz ruhig, mein Alixchen – alles – alles wird gut werden!“ Und als ich, meiner selbst nicht mächtig, noch einmal krampfhaft aufschluchzte, zog er mir die Hände vom Gesicht und sagte leise: „Syburg war längst bei mir und hat – als ein ehrenwerter Mann durch und durch – zuerst deine Eltern gefragt, ob er um dich werben dürfe …“ Ich fuhr auf und starrte ihm entsetzt ins Gesicht. „Das darf dich nicht kränken, mein Kind, – du solltest selbstverständlich nichts davon wissen – die Freiheit der Entschließung sollte dir allein vorbehalten bleiben – –“ Er schloß mich gerührt in die Arme, – er war überzeugt, mich ganz getröstet zu haben – der gute Vater!
Er führte mich zum Wagen hinunter – meine Schleppe raschelte über die breiten Stufen – draußen, rechts und links, standen die Menschen, um mich anzustaunen; – hatte ich diesen Augenblick nicht schon einmal erlebt? Damals – im weißen Kleide wars gewesen, als ich zur Kirche fuhr,
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/389&oldid=- (Version vom 31.7.2018)