ich, weil mir nichts erwünschter gewesen wäre, als den Aufstand der Arbeiter in der Nähe zu sehen, – wir mußten uns fügen.
Ich lief in den Park, – vielleicht, daß sich von hier aus irgend etwas erspähen ließ. Das Abenteuerfieber der Jugend packte mich, dasselbe Fieber, durch das Schulbuben auf Auswandererschiffe getrieben und schwärmerische Byron-Seelen in phantastische Freiheitskämpfe gerissen werden, das Fieber, das überall ausbricht, wo ein Gluthauch plötzlich die Normaltemperatur des Alltags vertreibt. Hohe Mauern wehrten mir den Ausblick. Sollten sie mich immer wieder von der lebendigen Welt da draußen trennen?
Ich trat auf den Gutshof. Feiertägige Stille herrschte auch hier. Aber drüben, wo zwei mächtige Linden am Ausgang zur Straße Wache standen, sah ich einen Haufen lebhaft gestikulierender Menschen. Ein grauer Kopf mit der Bergmannsmütze auf den kurzgeschorenen Haaren ragte aus ihrer Mitte hervor. „Ich, ich bin dabei gewesen!“ hörte ich ihn schreien, als ich näher hinzutrat, – „ein Wunder, daß ich mit heilen Gliedern davon kam! Sie haben geschossen, wie verrückt.“
„So erzählt doch. Mann, erzählt!“ – „Wo – wo ists denn gewesen?“ bestürmten ihn die Umstehenden. „In Bochum – gestern abend. Ein blutjunger Leutnant kommandierte Feuer – grad, als die Menschen aus dem Bahnhof strömten. Wie die Hunde die Hammelherde, so umschlossen die Soldaten die Leute – lauter harmloses Volk – kaum einer von uns darunter, – und dann lag der Platz voller Toten –“
Irgend woher klang eine Kirchenglocke. Der Bergmann
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/402&oldid=- (Version vom 31.7.2018)