war noch finsterer geworden, der emporgewirbelte Bart konnte über die herabgezogenen Mundwinkel nicht täuschen, und das gleichmäßig verbindliche Lächeln der blonden Frau neben ihm war zu konventionell, ihr helles Antlitz zu ausdruckslos, als daß es den Blick von ihm hätte ablenken, die Empfindung von Eiseskälte, die uns alle überkam, hätte vertreiben können.
Der Ball begann. Ich fühlte, wie die jungen Damen mehr als sonst von mir abrückten, wie man, trotz der Erregung des Augenblicks, Zeit fand, über mich zu tuscheln und zu raunen. Hessenstein stand wie ein riesiger Wächter neben mir. Er war es auch, der mir zuflüsterte, noch ehe eine „gute Freundin“ mich schadenfroh davon unterrichten konnte, daß Syburg sich verlobt habe. Und an seinem Arm flog ich durch den Saal, als der erste Walzer seine Schmeichelweise ertönen ließ. Unten, dicht vor der Estrade, wo die Kaiserin Cercle hielt, stand der Kaiser. Im Rausch des Tanzes bemerkte ich ihn erst, als die Schleppe meines Kleides ihn streifte. Einen Augenblick lang sah er mir nach und lächelte, während mir mit einem Gefühl des Triumphes durch den Sinn schoß, daß kein Tänzer im Saal so schön war wie der meine und keine Dame so gut tanzte wie ich. So sollte es sein: nicht allmählich, wie die alternden Mauerblümchen, wollte ich mich losreißen vom Jugendleben, – auf der Höhe vielmehr wollte ich Abschied feiern! In den Pausen drängten sich die jungen Mädchen in die Nähe der Kaiserin und kehrten mit verklärten Gesichtern zurück, wenn es ihnen gelungen war, vorgestellt zu werden. „Wollen Sie nicht auch –?“ meinte Hessenstein bedenklich. „Wozu?“ antwortete ich
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/424&oldid=- (Version vom 31.7.2018)