Giebel, die schlanken Säulen, die hohen Fensterbogen gebaut. Hinter dem dunkeln Laubdach der alten Linden schimmerte der Dom wie ein gewaltiger Tempel des Lichtgotts.
Wir fuhren langsam in unseren hellen Kleidern, Ballblumen im Haar, und die Menge jubelte uns zu, wo wir vorüberkamen. Aus den offenen Fenstern und den Gärten tönte Gesang und Musik.
Lebensfreudiges Heidentum lachte und leuchtete um uns, jenes Heidentum, das die katholische Kirche klug zu erhalten verstand. Wo der Protestantismus mit seiner kunstfeindlichen Nüchternheit einzog, entfloh es; wo der Bischof im goldgestickten Ornat dem Prediger im schwarzen Trauerkleid Platz machen mußte, wo die lustigen rotröckigen Chorknaben verschwanden und in das mystische, weihrauchgeschwängerte Dunkel der Kirchen grelles Tageslicht eindrang und duftloser Alltag, da verlor das Volk allmählich den Kindersinn, der sich in phantastischem Prunk und bunten Spielen äußert.
Zu Füßen der Porta Westfalica waren vierzehn Tage später die Kaisermanöver. Mit einer Parade vor den Toren von Minden wurden sie eröffnet. Es war dasselbe Bild wie immer bei solchen Gelegenheiten: schwarze Menschenmassen, graue Staubwolken, geschmacklos dekorierte Tribünen, von Fremden und Einheimischen dicht besetzt; auf dem Felde davor, wohin das Auge reichte, blitzende Uniformen, wehende Helmbüsche, stampfende Pferde. In der Ferne die blauen Höhenzüge des Wesergebirges, – ein ruhig-ernster Abschluß des lebendigen Bildes.
Wenn ein altes Roß, das schon lang vor dem Lastwagen
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/426&oldid=- (Version vom 31.7.2018)