Ich grübelte noch darüber nach, als ein brausendes „Hurrah“ mich aufsehen ließ. Der Kaiser hatte sich an die Spitze der 53er gesetzt und führte das Regiment seines Vaters an den Tribünen vorüber. Als spontane Gefühlsäußerung wurde jubelnd begrüßt, was nur eine Ausübung höfisch-militärischer Sitte war.
„Wird ihm diesmal schwer geworden sein,“ meinte Fürst Limburg leise, der neben mir stand. „Warum?“ frug ich verwundert. „Der Spuk im aachener Kasernenhof soll ihn nicht wenig erregt haben!“
Am nächsten Morgen ritt ich mit Limburgs unter Führung eines Korps-Gendarmen ins Manövergelände. Mit trüben Gedanken, die der regnerische Tag nicht heller machte, war ich zu Pferde gestiegen. Meinen Vater hatte ich seit meiner Rückkehr so wortkarg und finster gefunden, wie nie vorher; in diesen Tagen aber war er von haltloser Heftigkeit, so daß alles vor ihm zitterte. Ob er wohl auch an das pommersche Kaisermanöver vom Jahre 87 dachte?! – In einem Gehöft fanden wir Verdy, den Kriegsminister, dessen sarkastischer Witz mich immer ebenso anzog, wie sein vernachlässigtes Äußere mich abstieß. „Sauwetter!“ brummte er, mir die Hand schüttelnd „Sie hätten sich auch was Besseres aussuchen können, als diesem Manöver beizuwohnen.“
„Was bedeutet die seltsame Betonung, Exzellenz?“ frug ich unruhig.
„Na, Sie sehen doch, – es regnet,“ wich er aus, „und dann – all das Hofgeschmeiß, über das man stolpert! Wissen Sie übrigens, – Majestät hat Herrn von Wittich in letzter Stunde die Führung des markierten Feindes übertragen.“ Ich erschrak. Wittich, der Generaladjutant
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/428&oldid=- (Version vom 31.7.2018)