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Nicht rasch genug konnten wir unseren Haushalt auflösen. Mein Vater vertauschte noch an demselben Tage die geliebte Uniform mit dem schwarzen Rock. Aber er wagte sich damit bei Tage nicht auf die Straße; sein Gesicht färbte sich dunkelrot bei jedem Soldaten, der ohne Gruß an ihm vorüberging. Ich folgte ihm wie sein Schatten; er sah aus wie einer, dem der Tod nachschleicht. Ohne Anteilnahme hörte er zu, wenn meine Mutter Zukunftspläne schmiedete; wenn sie aber in der Aussicht auf ein ruhiges Leben förmlich froh zu werden vermochte, erhob er sich schwerfällig und ging hinaus. Er kümmerte sich um nichts, äußerte keinen Wunsch, ließ alles geschehen.

Meine Mutter verkaufte ein gut Teil der Möbel – er merkte es nicht; sein Adjutant verhandelte mit Hilfe des Reitknechts mit den Pferdehändlern, – er betrat den Stall nicht mehr. Als dann aber der Morgen kam, wo die Pferde fortgeführt werden sollten und wir alle versuchten, ihn in seinem Zimmer festzuhalten, lief er plötzlich auf den Flur hinaus, – hell hatte der Fuchs, sein Lieblingspferd, gewiehert, auf dem Hofe unten stand er, sein goldiges Seidenhaar glänzte im Sonnenlicht und lustig bellend, wie sonst vor dem Morgenritt, sprang ihm Percy, der weiße Terrier, an die Nase. Gegen die Scheibe preßte mein Vater die Stirn, ein Beben erschütterte seinen starken Körper, und schwere Tränen rollten ihm über die Wangen. Der Fuchs verschwand im Torweg; nur der Hund blieb noch unschlüssig stehen, kniff den Schwanz, sah fragend zu uns hinauf und trottete dann erst nach – langsam, ganz langsam.

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/432&oldid=- (Version vom 31.7.2018)