hinaus zu tun, ohne daß der Eintritt in die Literatur mir irgendwelche Schwierigkeiten gekostet hätte. Auch sonst bin ich vom ‚Glück‘ begünstigt: Meine Brennarbeiten hat der Offizierverein zum Verkauf angenommen, und meine Erfindung – die Vereinigung von Brennen und Malen auf Sammet und Tuch – hat eine Frauenzeitung geschildert und mich dabei als Verfertigerin empfohlen. Ich habe meinen Eltern infolgedessen das Taschengeld schon ‚kündigen‘ können, und dieser erste Schritt zur Selbständigkeit ersetzt mir etwas den Mangel an seelischer und geistiger Befriedigung. Da ich den Eltern überdies durch Schneidern, Putzmachen und Gouvernantenspielen bei Ilse ein Mädchen für alles und ein Fräulein erspare, so kann ich mir einbilden, mich bereits selbst zu erhalten. Nur daß dies bloße Erhalten des Lebens vom Leben selbst weit entfernt ist. Ich sehe dich heimlich lächeln. ‚Ihr fehlt einmal wieder der Mann‘, sagst Du. Du irrst: ich komme mir mit meinen 25 Jahren so alt vor, daß ich bereits großmütterlich mitleidig lächle, wenn andere von Liebe reden. Besinnst Du Dich auf Vetter Fritz in Brandenburg? Du warst damals sittlich entrüstet, daß ich dem guten Jungen den Kopf verdrehte. Nachdem er in den letzten acht Jahren meinen Geburtstag nicht einmal vergessen hatte, stellte er sich hier wieder bei uns ein, – noch immer derselbe kindliche Mensch, trotz seiner Gardeulanenuniform. Mit Blumen und Blicken wirbt er um mich, und seine Treue rührt mich oft so, daß ich mich frage, ob es nicht das Beste wäre, seine Frau zu werden. Dann hätte die liebe Seele Ruhe, und allen Ambitionen und Befreiungsgelüsten wäre ein für allemal
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/460&oldid=- (Version vom 31.7.2018)