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„Und doch sind Sie ein glücklicher Mensch geworden!“ sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihm.

„Das habe ich wieder den Naturwissenschaften und meinen vielen lieben Freunden zu verdanken.“

„Ihren Freunden?!“

„Denen, die immer um mich sind und nur reden, wenn ich sie brauche: den Büchern. Darwins Entwicklungsgesetz war es, das mich zuerst mit einem unbeschreiblichen, unzerstörbaren Glücksgefühl erfüllte, denn es festigte meinen Glauben an die unendliche sittliche und intellektuelle Vervollkommnungsfähigkeit der Menschennatur, und er trat an die Stelle des Glaubens an einen unbeweisbaren Gott.“

Das Herz klopfte mir vor Freude; ich umfaßte unwillkürlich mit meiner heißen Hand seine kühlen Finger: „Ich danke Ihnen – danke Ihnen tausendmal,“ kam es vor Erregung bebend über meine Lippen, „so bin ich doch nicht mehr allein mit dem, was ich dachte und fühlte, und was mir fast schon zu entschwinden drohte. Einmal, in einer glücklichen Stunde, schrieb ichs auf, – darf ich es Ihnen bringen?“

„Ich bitte Sie darum!“ Ein warmer Blick traf mich, – er schien mich ganz und gar zu umfassen. „Sollte ich doch am Ende wieder an den lieben Gott glauben müssen – der mir eine Frau wie Sie in den Weg geschickt hat?!“

Die Eltern kamen und holten mich ab. Mein Vater war merkwürdig kurz angebunden. „Du wirst deinen Verkehr mit dem Professor beschränken müssen,“ sagte er auf dem Nachhausewege, „Walter sagte mir, daß er im Rufe steht, einer der gefährlichsten Kathedersozialisten zu

Empfohlene Zitierweise:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/511&oldid=- (Version vom 31.7.2018)