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werden. Wir werden an den Hof gehen, wo wir hingehören. Und du wirst nun auch mein gutes Kind sein und gehorchen!“

„Nein, Papa! – Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt. Wäre ich Euer Sohn, statt Eure Tochter, ihr würdet es selbstverständlich finden, wenn ich meine eigenen Wege ginge. Ich kann nicht denken wie ihr, und ich bin außerstande, nichts als eine Haustochter zu sein. Paßt Euch der Verkehr nicht, der mir notwendig ist, wollt Ihr Euch nicht mit mir identifizieren, so laßt mich in Frieden meiner Wege gehen, – gebt mir freiwillig die Freiheit!“

Meine Worte wirkten verblüffend. Die Eltern waren plötzlich ganz ruhig geworden. Sie schienen auf das tiefste verletzt. „Daß wir über solchen Wahnwitz mit dir verhandeln, wirst du selbst nicht erwarten können,“ sagte Papa kalt. „Geh in dein Zimmer. Bis morgen früh dürftest du wohl zur Vernunft gekommen sein.“

Aber der Morgen kam und fand mich entschlossen, eher das Haus zu verlassen, als auf meine Besuche bei Herrn von Glyzcinski zu verzichten. Und die Eltern, die zwischen dem Skandal einer davonlaufenden Tochter und dem Eingehen auf ihre Wünsche zu wählen hatten, gaben mir nach. Eine drückende Stimmung, wie geladen von Mißtrauen und Feindseligkeit, blieb zurück. Nur Papa gab sich alle Mühe, meine Interessen auf andere Wege zu leiten. Meine Teilnahme an den Bestrebungen Egidys schien ihm sogar erwünscht, um die Einflüsse von der anderen Seite zu paralysieren. Er selbst hielt sich davon zurück. „Es widerstrebt mir, mich als preußischer General in irgendeine öffentliche Bewegung zu

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/517&oldid=- (Version vom 31.7.2018)