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dessen Inhalt, dessen Tendenz volks- und kulturfeindlich ist.“

„Alix!“ – meiner Mutter Stimme war’s, – in ein fassungsloses Schluchzen brach sie aus. Meine harte Mutter, die Empfindungen kaum zu kennen schien, sie zum mindesten immer in eisernen Fesseln hielt, – meine Mutter weinte! Wir führten sie hinaus, Egidy und ich. Er sprach ihr beruhigend zu, und ihre Augen wurden trocken, ihre Lippen bewegten sich zu mühsamem Lächeln. An der Tür streckte er mir die Hand entgegen, – ich übersah sie. Wir fuhren wortlos nach Haus. Erst als ich vor meinem Schlafzimmer ein leises „Gute Nacht“ flüsterte, schien sie sich des Geschehenen wieder zu erinnern.

„Du – du wagst es, mir eine gute Nacht zu wünschen?!“ kam es stoßweise über ihre Lippen. „Hast du mir nicht schon genug Kummer gemacht, und nun muß ich noch das Fürchterliche erleben, daß du in aller Öffentlichkeit unseren Herren und Heiland verleugnest?! … Dazu also hast du die Freiheit benutzt, die wir törichte, mehr als rücksichtsvolle Eltern dir gewährten, hast dir von dem Professor, der uns gegenüber die Maske des duldsamen Ethikers trägt, den Kopf verdrehen lassen! Ein schöner Dank für all unsere Liebe – – Aber das schwör’ ich dir zu: keinen Fuß setzt du mehr über die Schwelle dieses Elenden!“ Ich wollte heftig erwidern, aber schon war sie fort und schob geräuschvoll den Riegel vor ihre Türe.

Noch in der Nacht schrieb ich zwei Briefe, den einen an Egidy, worin ich mich bitter beklagte, daß er mich in seinem eigenen Hause den Angriffen seiner

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/535&oldid=- (Version vom 31.7.2018)