nicht der Gedanke für mich selbst beinahe unerträglich, ihn zu verlassen?! – –
Noch am Nachmittag kam ein Brief von Egidy. „Der Vorwurf, den Sie mir machen, bekümmert mich sehr,“ hieß es darin. „Ich habe nicht den Eindruck gehabt, daß mein Schutz Ihnen nötig war. Ich fand, daß Sie sich selbst am besten verteidigen konnten. Am tiefsten aber betrübt es mich, daß Sie jetzt von einem Wegbleiben reden. Der Gedanke, Sie missen zu müssen, ist mir schmerzlich. Ich habe Herz und Kopf noch so voll für Sie, – ich habe sie richtig lieb. Am schmerzlichsten aber ist der Stachel, den Ihre Worte mir ins Herz gesenkt: daß Ihnen dies Wegbleiben gar etwa so schwer nicht würde! Ich meine: andernfalls dürften Ihnen Vorkommnisse solcher Art einen solchen Gedanken nicht eingeben, vielmehr müßten Sie eine Befriedigung im Überwinden derartiger Dinge finden; dies um so mehr, als Sie meiner ritterlichen Verteidigung wohl überzeugt sein dürfen, sofern ich sehe, daß Sie derselben irgend benötigen. So wenigstens denke ich von der Aufrechterhaltung eines Bandes, das zu keinem anderen Zwecke besteht als zu dem: den Menschen zu dienen; – – ganz abgesehen von einem Gefühl wohltuender Freundschaft: ‚oh reiß den Faden nicht der Freundschaft kurz entzwei – wird sie auch wieder fest – ein Knoten bleibt dabei –‘ Wir werden uns aussprechen, – ich bin in wenigen Stunden bei Ihnen …“
Und er kam. Ich wollte ihn nicht sehen, meine Mutter empfing ihn; er blieb lange bei ihr, und als er gegangen war, trat sie mir mit ganz verändertem Ausdruck entgegen. „Egidy läßt dich grüßen,“ sagte sie, „danke es
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/537&oldid=- (Version vom 31.7.2018)